© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Forschungsministerin steht unter Strom
Batterrieforschungszentrum in Münster: War der Wahlkreis näher als die Wahrheit?
Paul Leonhard

Die Bundesregierung hat den vom politisch angeordneten Strukturwandel besonders betroffenen Regionen in Sachsen und Brandenburg die Ansiedlung von Institutionen und Unternehmen im Bereich neuer Technologien versprochen. Das deutsche Batterieforschungszentrum entsteht aber nicht in der Lausitz, sondern im westfälischen Münster.

Proteste gegen diese Entscheidung von Bundesforschungsministerin Anja Karli­czek (CDU) kommen aber nicht nur aus den neuen Bundesländern, sondern auch aus Süddeutschland. Schließlich hatte sich Bayern mit Augsburg und Baden-Württemberg mit Ulm um den Zuschlag beworben. „Mit der Entscheidung für Münster, die wohl einen langwierigen Aufbau neuer Strukturen nach sich zieht, wird wertvolle Zeit im Wettlauf gegen Deutschlands Wettbewerber verloren“, schreiben die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Deutschland könne es sich nicht erlauben, die Potentiale an den Standorten Ulm, Augsburg und Salzgitter ungenutzt zu lassen. Die Ministerpräsidenten forderten Merkel auf, die Entscheidung zu prüfen.

Münster müsse als Forschungsstandort keinen Vergleich scheuen, sagte dagegen der Sprecher der örtlichen SPD, Bernhard Daldrup. Es sei befremdlich, wenn Kritik aus dem Süden laut werde, wenn Standortentscheidungen nicht zugunsten von Bayern oder Baden-Württemberg getroffen werden. Daß sich die ostdeutschen Länder benachteiligt sähen, weil viele Vergaben bisher in den Süden gingen, verstehe er dagegen.

Das überzeugendste Konzept für  die Batterieproduktionsforschung habe Münster vorgelegt, verteidigt sich Karli­czek. Die Entscheidung habe nichts mit der Nähe ihres Wahlkreises zu tun. Genau das werfen die Kritiker der in Ibbenbüren nahe Münster lebenden Politikerin vor. Auch im Brief der Ministerpräsidenten klingt an, daß nicht nur forschungs- und innovationspolitische Gesichtspunkte von Bedeutung gewesen seien. Überdies hatte die Auswahlkommission wie die Vertreter der Industrie und der Fraunhofer-Gesellschaft – diese wird für Aufbau und Betrieb der Forschungsfabrik zuständig sein – Ulm, Salzgitter und Augsburg an der Spitze des Bewerberfeldes gesehen.

Experten sprachen sich für Süddeutschland aus

„Was hat ein solches Votum von Experten für eine Bedeutung, wenn dann doch freihändig entschieden wird? Das stärkt nicht das Vertrauen in die Politik“, kritisierte Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Karliczek verteidigte sich: Sie selbst habe sich weitgehend herausgehalten, die Fachleute ihres Ministeriums schätzten, daß Münster am besten geeignet sei. Im übrigen gehe es darum, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit bei der Batterieentwicklung zu erhalten. Das Konzept aus Münster habe auch deswegen überzeugt, weil es das Recycling der produzierten Batterien mit einschließe. Hintergrund ist, daß die künftige Forschungsfabrik eine Million Batterien produzieren wird, die zwar zu Forschungszwecken abgegeben, aber nicht verkauft werden dürfen.

Die CDU-Politikerin versucht derzeit die Wogen zu glätten, indem sie die 500 Millionen Euro teure Investition des Bundes in Münster und die dort entstehenden 200 bis 300 neuen Arbeitsplätze als „nationale Anstrengung“ darstellt, die „alle Bewerber einschließe“.

Auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart betonte, daß man „eine Forschungsfabrik für ganz Deutschland sein“ wolle: „Wir würden uns freuen, wenn wir unsere Mitbewerber für Kooperationen gewinnen können, um gemeinsam die besten Ideen zu verwirklichen.“ Die Mitbewerber Ulm, Augsburg und Salzgitter sollen „Standorte für einzelne Aspekte der Forschung“ werden. Keine Rolle spielte offenbar das sächsische Großröhrsdorf bei Dresden, das von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeinsam favorisiert worden war. 

Daß die östlichen Kohleländer bei dem Deal komplett außen vor geblieben sind, wird in diesen als deutliches Signal auch für ausländische Investoren gewertet, die dabeisein wollen, wenn in Deutschland Voraussetzungen für die Herstellung eigener Batteriezellen im großen Maßstab geschaffen werden, die Europa vom chinesischen Markt unabhängig machen sollen. 

Die Bundesregierung, die sich fest dazu bekannt hatte, Zukunftsinstitute in den neuen Ländern anzusiedeln, grenze den Osten bewußt aus und sei wortbrüchig geworden, sagte der Thüringer SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erinnerte an die Aussage Karliczeks, daß der Osten „kein Internet an jeder Milchkanne“ bräuchte und mahnte, die Bundesministerin sollte sich „um mehr kümmern, als nur um ihren Wahlkreis“.