© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Vor der Welt den Wurf gewagt
„Der Führer Adolf Hitler ist tot“: Eine Sonderausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden widmet sich dem Attentat und Staatsstreichversuch am 20. Juli 1944
Paul Leonhard

Die Dielen knarren leise. Der Besucher tritt an den langen Tisch, wirft einen Blick auf Karten voller roter und blauer Pfeile, taktischer Zeichen. Es sieht schlecht aus für das Reich an jenem 20. Juli 1944. Aber noch scheint nicht alles verloren. Ein Waffenstillstand muß her. An allen Fronten. Und dann die Truppen auf die Reichsgrenzen zurückführen. Doch vorher muß Adolf Hitler beseitigt, müssen die Soldaten frei von ihrem Eid auf den Führer werden. Dazu ist eine Gruppe energischer Generalstabsoffiziere entschlossen. Auf das Attentat  wartet ein weitverzweigtes Netz von Mitverschwörern überall dort, wo die Hakenkreuzfahne weht. Die Pläne für den Umsturz sind ausgearbeitet.

Die gewagte Aktion übernimmt ein Kriegsversehrter: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Oberst i.G. Stabschef des Ersatzheeres, seit seinen schweren Verletzungen bei einem Tieffliegerangriff einäugig, einarmig, stellt unter Zeitnot mit den verbliebenen drei Fingern der anderen Hand den Zünder scharf, stellt die Aktentasche mit dem Sprengstoff zu den anderen Taschen unter den Kartentisch und verläßt den Raum, in dem die Generale Hitler die aktuelle Lage erläutern. Als die Bombe explodiert, gibt Stauffenberg das vereinbarte Codewort nach Berlin durch. Der Umsturz kann beginnen.

Es war ein Glücksumstand, daß das Militärhistorische Museums der Bundeswehr in Dresden nach den Dreharbeiten für den 2008 entstandenen Hollywoodfilm „Operation Walküre“ die vom Berliner Studio Babelsberg nachgebaute „Führerbaracke“ übernehmen durfte. Jetzt steht sie – wieder aufgebaut, eingerichtet und ausgeleuchtet – im Zentrum der Sonderausstellung „Der Führer Adolf Hitler ist tot“, mit der die Museumsleute bis zum 3. Dezember an den 75. Jahrestag des bekanntesten Attentats auf Hitler erinnern.

Wie macht man aber die Erinnerung an ein Attentat, über das den Interessierten fast alles bekannt und dessen Bedeutung allen anderen nur schwer zu vermitteln ist, zu einem musealen Ereignis, das seiner Größe wirklich gerecht wird? Nach einem Reigen spektakulärer, aber auch umstrittener Ausstellungsevents in den vergangenen Jahren im Museum der Bundeswehr kommt die aktuelle Schau wieder traditionell, also unaufgeregt daher. Neben der Barackenkulisse besteht sie aus einem Dutzend betongrauer Stellwände mit 22 Plakaten, einigen Vitrinen mit Dokumenten, zwei Videostationen, einigen Kunstwerken. 

Sechs Plakate vermitteln wichtige Fakten zu Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des Attentats sowie zur Rezeptionsgeschichte, 14 stellen wichtige Akteure des zivil-militärischen Widerstandes und ihre Beweggründe vor, die sie in die Opposition gegen das NS-Regime geführt haben. Eine raumgreifende Fotocollage hilft dem Besucher, sich in das Jahr 1944 zu versetzen. Die Aufnahmen von der Ost-, West- sowie der Heimatfront, deutschen und alliierten Soldaten, von Partisanen und KZ-Insassen, Ausgebombten vermitteln einen Eindruck von der militärischen, gesellschaftlichen und politischen Lage des Deutschen Reiches im vorletzten Kriegsjahr, wie es auch die am Attentat Beteiligten im Kopf hatten.

Wer regelmäßig das Militärhistorische Museum besucht, wird an eine ähnliche Ausstellung vor fünf Jahren erinnert. Damals waren unter anderem Briefe von Generaloberst Ludwig Beck – der seit Ende der 1930er einen Putsch der Wehrmacht gegen Hitler vorantrieb – über seinen Rücktritt im Oktober 1938,  sowie  Aufzeichnungen von Generalmajor Hans Oster zu seinen Vernehmungen 1943 oder die letzten Notizen von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben vor seiner Hinrichtung im August 1944 zu sehen – beeindruckende persönliche Dokumente, so sie für den Besucher einzuordnen sind.

Der Abschiedsbrief von Oberst Wessel Freytag von Loringhoven, der als Leiter der für Sabotagemaßnahmen zuständigen Abteilung II des Amtes Ausland/Abwehr Zeitzünder und Sprengstoff für die Bombe organisiert hatte, weist braune Flecken eingetrockneten Bluts auf. Loringhoven erschoß sich nach Fertigstellung des an seine Frau gerichteten Schreibens. Für Kurator Magnus Pahl ist dieses „das berührendste Exponat“.

Weit vor dem Attentat entstanden zwei ausgestellte Büsten. Die eine zeigt Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben mit Ritterkreuz. Geschaffen hat sie der Künstler Otto Eichenlaub, der als Reserveoffizier im Stab Witzlebens diente und nach dessen Verhaftung die Büste auf dem Dachboden der Eltern seiner Verlobten versteckte, wo sie in Vergessenheit geriet. Die andere stellt Stauffenberg dar und wurde von Frank Mehnert gefertigt. 

„In der Person Stauffenbergs verbanden sich die planerischen Qualitäten für den Umsturzversuch ‘Walküre’ sowie die Tatkraft eines Antreibers mit dem Mut des Attentäters“, sagt Pahl. Der Kurator verspricht neue Erkenntnisse über das Netzwerk, das bis in die Arbeiterschaft reichte. Indes, der Rezensent vermag sie in der Sonderschau nicht zu entdecken. 

Die Süddeutsche Zeitung erinnerte einmal in einer beeindruckenden Grafik an die Größenordnung der Verschwörung: Grüne Kreise kennzeichneten das Militär um Stauffenberg und General Olbricht, violette die Zivilisten um den früheren Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler, blaue die Reserveoffiziere um Fritz-Dietlof von der Schulenburg und Generaloberst i. R. Ludwig Beck. Ein schwarzer Kreis verwies auf Mitwissende in SS und Polizei. Linda von Keyserlingk-Rehbein hat in ihrer Dissertation mit einer historischen Netzwerkanalyse erforscht, wer die Verschwörer waren und wie sie in Verbindung zueinander standen.

In der nachgebauten Lagebaracke lohnt es sich durchaus, darüber zu spekulieren, was wäre gewesen wenn. Wenn der offiziell für den Fall innerer Unruhen im Reich ausgearbeitete Walküreplan von den Berliner Verschwörern unmittelbar nach der Detonation der Bombe ausgelöst worden wäre und nicht erst Stunden später, als Stauffenberg aus Ostpreußen im Bendlerblock eintraf. Was wäre gewesen, wenn die Verschwörer in Berlin ebenso energisch gehandelt und SS- und NS-Spitzen festgenommen hätten, wie es in Wien und Paris erfolgte? Wäre es zu einem Waffenstillstand, zur sofortigen Kapitulation oder – im schlimmsten Fall – gar zu einem verheerenden Bürgerkrieg gekommen? 

Den Verschwörern habe es zwar an einer ausreichend zuverlässigen Truppe für den Staatsstreich gefehlt, sagt Historiker Pahl: „Trotzdem geht man vor allem in der jüngeren Forschung davon aus, daß der Staatsstreich sehr wohl eine gewisse Chance auf Erfolg hatte.“ 

Der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit wurde die moralische Bedeutung des Attentats erst allmählich bewußt, so wie es Mitverschwörer Generalmajor Henning von Tresckow formuliert hatte: „Das Attentat muß erfolgen, (...) denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat.“

Die Ausstellung ist bis zum 3. Dezember im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, in Dresden täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, montags bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon:  03 51 / 823 -28 03

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