© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Zeitschriftenkritik: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte
Von Goethe bis Barschel
Thomas Löhlein

Die Jahrgänge 2018 und 2019 der Zeitschrift der bald 200 Jahre alten Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (ZSHG) erscheinen diesmal in einem Doppelband, der vorwiegend kultur- und geistesgeschichtliche Akzente setzt.

Den Auftakt macht eine Studie über den seit 1783 in Kiel wirkenden spätaufklärerischen Kulturhistoriker Dietrich Hermann Hegewisch (1740–1812). Als Verfasser einer „Weltgeschichte“ (1781) habe er keine „Apologie auf Europa“ bieten wollen und sich deshalb etwa kritisch mit dem Kampf des christlichen Abendlandes gegen die Mauren auseinandergesetzt. Dabei sah er erstaunlicherweise in den Europäern die Aggressoren und in den Araberstaaten Nordafrikas keine „Seeräuber“, sondern völkerrechtlich legimitierte Gebilde.

Von Hegewisch führt ein Zeitsprung ins erste Jahrzehnt nach dem Ende des deutsch-dänischen (1864)und des preußisch-österreichischen Krieges (1866), als die nunmehr preußischen Herzogtümer sich zur Hochburg des Linksliberalismus entwickelten. Das sei nur mit den liberal-demokratischen Traditionen von 1848 her zu erklären, die im kulturellen Gedächtnis der Führungsschichten „tiefe Spuren“ hinterlassen hätten. Die allerdings nach der Reichseinigung von 1871 sukzessive verblaßten, weil mit dem stetigen Wirtschaftsaufschwung die antipreußischen Ressentiments schwanden. 

Explizit mit der Geistesgeschichte des preußischen Schleswig-Holsteins beschäftigt sich der umfangreichste Aufsatz des Bandes, der den Wandel des Zeitgeistes anhand der Goethe-Rezeption an der Kieler Universität zwischen 1890 und 1930 ausleuchtet. Dabei steht die aktualisierende Indienstnahme des Dichterfürsten im Vordergrund, sei es, daß man um 1900 mit  „Faust“ als vorbildlichem „Tatmenschen“ den wilhelminischen Kolonialismus befeuert, sei es, daß der seit 1923 in Kiel wirkende Historiker Friedrich Wolters, der Majordomus des George-Kreises, „Goethe als Erzieher zum vaterländischen Denker“ anpries.

Um die symbolpolitische Indienstnahme einer historischen Figur geht es auch in einer Studie über den Tod Uwe Barschels (CDU), der im Herbst 1987 der Bonner Republik den größten Politskandal ihrer Geschichte bescherte. Ihr Verfasser, der emeritierte Berliner Historiker Reimer Hansen, parallelisiert den für ihn zweifelsfreien Selbstmord Barschels im Genfer Nobelhotel Beau-Rivage mit dem Freitod des Sylter Landvogts Uwe Jens Lornsen, der sich 1838 am Genfer See erschoß. Es war ein Bilanzsuizid in der Konsequenz des von ihm initiierten separatistischen Versuchs, die Herzogtümer von Dänemark zu trennen. Da Barschel, der als Ministerpräsident Lornsen zwecks „ideologischer Selbstdarstellung seiner Landespolitik“ oft instrumentalisiert habe, ausgerechnet Genf zum Sterbeort erkor, könne dies kein Zufall sein. Es sei vielmehr ein weiteres Indiz für die These, sein Ende inszeniert zu haben, wenn nicht als Mord, so doch als Märtyrertod.    

Kontakt: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Band 143/144 (2018/2019), Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, 400 Seiten, Abbildungen, 29 Euro.