© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Völkischer Aktivist
Martin Niemöllers politische Anfänge
Oliver Busch

Wer die vor vierzig Jahren erschienenen „Männerphantasien“ des Literaturwissenschaftlers Klaus Theweleit aufmerksam liest, der findet unter den von ihm unter die Lupe genommenen Freikorps-Autoren, deren Bellizismus er auf frühkindliche Angststörungen zurückführt, auch Martin Niemöller (1892–1984), eine Galionsfigur der Bekennenden Kirche, einen Pfarrer, der sein Engagement gegen das NS-Regime von 1938 bis 1945 mit KZ-Haft büßte, als „persönlicher Gefangener des Führers“.

Wenn der Neuhistoriker Benjamin Ziemann (University of Sheffield) den NS-Gegner Niemöller nun sogar als Wegbereiter des Nationalsozialismus präsentiert, ist das also zumindest für Theweleit-Kenner keine Überraschung (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2-2019). Neu ist nur, wie fest der brotlose Marineoffizier und U-Boot-Kommandant, der 1919 ein Theologiestudium in Münster begann, im „völkischen und radikalnationalistischen Milieu“ verankert war. Dieses dichte Netzwerk sozialer Kontakte und Aktivitäten erstmals aus Archivquellen rekonstruiert zu haben, ist das Hauptverdienst der Studie Ziemanns, die wohl als Appetitanreger für seine angekündigte „große Monographie“ über den schillernden Kirchenmann gedacht ist. 

Als Studentenpolitiker hat Niemöller wirklich nichts ausgelassen, um Front gegen die junge Weimarer Republik zu machen: Vorsitzender der Studentengruppe Münster der Deutschnationalen Volkspartei, Mitglied der Akademischen Wehr, eines Zeitfreiwilligenverbands, Unterstützer des Kapp-Putsches im März 1920, anschließend als Bataillonskommandeur der Wehr Teilnahme an der Niederschlagung des Aufstands der „Roten Ruhrarmee“. Danach „Vertiefung und Radikalisierung der völkischen Agitation“ im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und im Alldeutschen Verband, zwei „Transmissionsriemen für die Verbreitung eines rassistischen Antisemitismus in anderen nationalen Verbänden“. 

Ab 1945 sei Niemöller einer der eifrigsten Moralprediger gewesen, der von den Deutschen gefordert habe, sich zu den Verbrechen der Nationalsozialisten zu bekennen, Buße zu tun. Auch eigene Schuld, durch „Schweigen“ bis 1933, habe er oft medienwirksam bereut. Daß er Hitler aber nicht nur passiv half, sondern als völkischer Aktivist „direkten Vorläufern der NSDAP“ diente, darüber sprach Niemöller, der sich als BK-Pastor zudem mehr für getaufte Judenchristen als für Juden eingesetzt habe, jedoch niemals.