© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Selbst die „Weiße Rose“ fällt durch
Eine strenge Auslese über den deutschen Widerstand des Antisemitismusforschers Wolfgang Benz
Stefan Scheil

Zu allen Zeiten hat es Personen gegeben, die mit dem jeweils herrschenden politischen System unzufrieden gewesen sind. Die meisten begnügten sich in diesem Fall damit, ihren Ärger im kleinen Kreis zu äußern, wenn überhaupt. Andere agierten lustlos bei der Arbeit, kamen feudalen Herrschaftsansprüchen nur unzureichend nach, oder gingen außer Landes. Immer sind es nur wenige gewesen, die der Herrschaft aus freiem Willen und innerer Überzeugung den direkten Kampf ansagten. Wieder andere gerieten überhaupt nicht aus eigenem Entschluß in einen Gegensatz zur Staatsführung, sondern wurden ohne eigenes Zutun zu Verfolgungszielen, sei es als Gruppe oder als Person.

Diese Vorrede gibt es hier aus einem Grund. In diesem ganzen versammelten Spektrum spielt sich das ab, was Wolfgang Benz in ambitionierter Vereinheitlichung als „Widerstand“ gegen den Nationalsozialismus präsentiert.  „Widerstand im eigentlichen Sinn war dann jeder ‘bewußte Versuch, dem NS-Regime entgegenzutreten‘ und die damit verbundenen Gefahren auf sich zu nehmen“, definiert der Autor. Der Verlag verspricht „dichte Szenen“ über die Wirklichkeit und die Möglichkeit von Opposition gegen das NS-Regime.

In einem Dutzend Kapiteln folgt dann ein bunter Strauß an Episoden aus der Geschichte des Nationalsozialismus. Kurt Tucholskys Pressepolemiken vor 1933 werden ebenso angeführt wie das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die Bekennende Kirche, Georg Elser als „Mann aus dem Volk“, die Weiße Rose, der Kreisauer Kreis, der 20. Juli und schließlich die Wehrmachtsdeserteure.

Bei letzteren beharrt Benz darauf, ihre pauschale Rehabilitierung durch den Bundestag im Jahr 2002 sei gerechtfertigt gewesen. Er führt aber selbst Beispiele von Fahnenflucht an, die keineswegs gemäß der eigenen Definition als Widerstand gelten können. Es sind solche geschichtspolitischen Schlachten der Vergangenheit, die im Buch immer wieder auftauchen. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger wird erneut als Negativbeispiel des „positivistischen Juristen“ der Wehrmachtsgerichtsbarkeit präsentiert. „Wohl keine andere Armee hat in dieser Hinsicht so barbarisch agiert wie die deutsche Wehrmacht“, rutscht es dem Autor mit Blick auf 15.000 vollstreckte Todesurteile aus der Feder. Man könnte als Träger eines Professorentitels allerdings wissen, daß die Rote Armee allein während der Schlacht von Stalingrad Todesurteile in dieser Dimension in den eigenen Reihen vollstreckte. 

Attentäter Georg Elser gilt ihm als „eigentlicher Held“ 

Kritische Vergleiche dieser Art sind nicht die Sache von Wolfgang Benz. Sein geschichtspolitischer Fokus bleibt auf Deutschland gerichtet. Fragen nach der Legitimität von innerdeutschen Widerstandshandlungen angesichts des Kriegskurses fremder Staaten unter massenmörderischen Regimen kann es aus dieser Sicht nicht geben. Damit dieses Bild gewahrt bleibt, werden also die üblichen Lebenslügen der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft herausgeholt. Im November 1937 habe Hitler der Spitze der Wehrmacht mitgeteilt, Österreich und die Tschechoslowakei annektieren zu wollen, heißt es bei Benz, „als erste Etappen zur Erweiterung des deutschen ‘Lebensraums’ durch Krieg“. Das tat Deutschlands Tyrann jedoch keineswegs. Er ließ die Wehrmachtsspitze statt dessen wissen, mit dem risikoreichen, aber aus seiner Sicht notwendigen Erwerb von Österreich und der Tschechei sei der deutsche Lebensraum „für Generationen“ ausreichend.

Georg Elser, „der Attentäter aus dem Volke“, gilt Benz heute neben oder vor dem Grafen Stauffenberg „als der eigentliche Held des deutschen Widerstands“. Das funktioniert ebenfalls nur, wenn erstens Hitler als die absolute und alleinige Kriegsursache angesehen wird und zweitens jedwede ethische Infragestellung der von Elser gewählten Methode des Bombenattentats im prall gefüllten Münchner Bürgerbräukeller unterbleibt. So greift Benz denn erneut alte Debatten auf und attackiert den Chemnitzer Privatdozenten Lothar Fritze, der hier vor zwanzig Jahren kritische Fragen gestellt hat. Schließlich hätte sich der Bürgerbräukeller bei erfolgreichem Ablauf des von Elser geplanten Attentats in ein Schlachthaus mit Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Toten verwandelt. Wieviel Kollateralschaden darf ein Tyrannenmörder in Kauf nehmen, lautete das Problem, das laut Fritze in Deutschland „nicht mit der gebotenen Sachlichkeit“ behandelt werden würde.

Wolfgang Benz findet die Schlußfolgerung „zwingend“, daß Fritze Einfluß auf das Geschichtbild seiner Leser nehmen wollte. Er erklärt das im Prinzip für legitim, um dann seiner eigenen Leserschaft eine Seite weiter zu suggerieren, Fritzes Argumentation sei ein Versuch, „den Konsens der Mehrheit zu denunzieren“. Nicht genug damit, rückt er sie in die Nähe von Holocaustleugung: „Sie erinnert auch an das trotzige Aufbegehren mancher dagegen, daß die Verunglimpfung der Holocaustopfer strafrechtlich sankioniert ist.“  

Starker Tobak möchte man meinen. Doch Benz scheut auch an anderer Stelle nicht vor groben Unterstellungen zurück. In seinem Visier sind unter anderem die Mitglieder der Weißen Rose. Die versuchten, in ihren Flugblättern ein ganzes Jahrzehnt antisemitischer Staatspropaganda durch die Verhöhnung von „nationalsozialistischem Untermenschentum“ zu überwinden. Angesichts des Massenmords stellten sie fest: „Juden sind doch Menschen – man mag sich zur Judenfrage stellen wie man will – und an Menschen wurde solches verübt.“ 

Dem Antisemitismusforscher Benz fällt nichts besseres ein, als den Begriff vom Untermenschen an dieser Stelle für „unkritisch“ verwendet zu befinden. Den Appell an das allgemeine Menschsein dreht er allen Ernstes in den Vorwurf um, aus „der Beteuerung, die ‘Judenfrage’ nicht erörtern zu wollen“, spreche wahrscheinlich „die traditionelle und weiter nicht reflektierte Reserve gegenüber Juden als Angehörigen einer Religion, die verstockt die Heilslehre der Erlösung durch Jesus Christus ablehnten“. Um dies so falsch zu deuten, muß man schon in einer ganz eigenen Welt leben.

Wolfgang Benz: Im Widerstand.Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler. Verlag C.H. Beck, München 2019, gebunden, 556 Seiten, Abbildungen, 32 Euro