© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Grünes Lifestyle-Spielzeug
Ein Testbericht: E-Scooter in der Praxis
Holger Eschwegge

Plötzlich sind sie da, überall! Vor einem, hinter einem. Da kommen schon wieder welche! Der erste kommerzielle Anbieter hat einige hundert „E-Scooter“ in der Stadt verteilt, also elektrifizierte Tretroller. Die Nachfrage ist gigantisch, überall flitzen plötzlich Menschen mittleren Alters zu jeder Tageszeit auf den modernen, seit Mitte Juni auch in Deutschland zugelassenen Rollern durch die Infrastruktur.

Das wollen wir auch probieren. Wie kommt man an so ein Ding heran? Das Procedere ist einfach: Man installiert eine kostenlose Smartphone-App und bekommt den nächsten Standort eines abgestellten Rollers per GPS-Ortung angezeigt – wie beim „Carsharing“. Wir haben Glück: Zwei Straßen weiter stehen wie bestellt zwei der grünen Gefährte. Günstig ist das Vergnügen nicht: Für zehn Minuten sind zwei Euro fällig, ganz schön happig. Was als erstes auffällt, ist das enorme Gewicht, die Dinger sind mordsschwer. Das Freischalten fällt dagegen leicht, die Software ist ziemlich idiotensicher programmiert. Dann kann’s losgehen. Fast lautlos setzt sich das seltsame Gefährt in Bewegung.

Im Gegensatz zu den Segway-Rollern, die vor wenigen Jahren eine zeitlang in Mode waren, ist der Stand auf dem klassischen Roller etwas unbequemer, weil man seine Hüfte ständig dreht. Dafür ist die Balance einfacher, weil man die Haltung eher gewohnt ist. 

Führerschein und Helm sind nicht nötig

Nach kurzer Eingewöhnung fängt die Sache an, Spaß zu machen und man wird selbstsicherer. Daß man auf einem Tretroller leicht infantil wirkt, scheint die wenigsten Nutzer zu kümmern.

Mit der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit 20 km/h düsen wir durch die Innenstadt. Doch der erste Beinahezusammenstoß mit einem Radfahrer läßt nicht lange auf sich warten. Für eine abrupte Vollbremsung sind die Bremsen jedenfalls nicht gemacht. Das stellt sich als fatal heraus, als auf einer abschüssigen Strecke die Fußgängerampel plötzlich auf Rot umspringt. Wir haben alle Mühe, rechtzeitig vor den losfahrenden Autos zum Stehen zu kommen. 

Ein weiteres Manko ist, daß die Roller offenbar fast ausschließlich von Paaren oder Gruppen genutzt werden, die dazu neigen, nebeneinander zu fahren und damit den Radweg zu blockieren, was Radfahrer wiederum zu aggressiven Überholmanövern verleitet. Wo das Fahren auf dem vorgeschriebenen Radweg nicht möglich ist, weichen wir ganz nach Vorschrift auf die Straße aus, doch die Autofahrer reagieren gestreßt bis panisch. Ab 14 darf man die Scooter fahren, was für so manche Verwirrung und Unsicherheit auch bei jugendlichen Verkehrsteilnehmern sorgt. Manche Rollerfahrer weichen trotz drohender Bußgelder zum Ärger der Fußgänger auf den Bürgersteig aus – ein Führerschein ist für die Inbetriebnahme übrigens nicht notwendig. Aus einigen Städten gibt es bereits die ersten Meldungen über Unfälle und Verletzte. Auch sollen die ersten Scooter bereits auf der Autobahn gesehen worden sein.

Noch ein Punktabzug: Das Fahrrad beherrscht man auch sicher einhändig und kann während der Fahrt eine Eiswaffel essen. Beim Roller unmöglich, hier braucht man auf jeden Fall beide Hände. Praktisch ist allerdings, daß man die Dinger nach Ende der Fahrt einfach stehenlassen kann. Nur ausloggen und fertig. Wie der Betreiber jedoch gewährleistet, daß die Akkus immer geladen sind und niemand auf halbem Weg der Saft ausgeht, konnten wir nicht klären. 

Abzuwarten bleibt noch, ob es den E-Rollern ähnlich ergeht, wie den Fahrrad-Leihsystemen, von denen sich viele Kommunen wegen Mißbrauch und Vandalismus bereits wieder ernüchtert abgewendet haben (JF 34/18). Mal sehen, wann die ersten Rollerleichen demoliert in städtischen Grünanlagen herumliegen.

Fazit: Eine ernsthafte Nahverkehrsalternative im Sinne einer vernetzten Mobilität ist der E-Scooter schon wegen seines Gewichtes nicht, das ein Mitnehmen im Bus oder Regional-expreß unmöglich macht. Er taugt also nur für einen sehr begrenzten Radius und das auch nur in der warmen Jahreszeit, denn schon bei herbstlich-nassem Blättermatsch auf dem Fahrbahnbelag ist das Fahren lebensgefährlich – zumal keine Helmpflicht besteht. Gerät man auf Kopfsteinpflaster, ist es mit dem Fahrspaß ohnehin schlagartig vorbei. Die Herstellung und spätere Entsorgung der Batterie macht die angebliche Umweltfreundlichkeit durch CO2-Freiheit gründlich zunichte. Zumal der Ladestrom, wenn bei den Vogelschreddern Flaute herrscht, aus belgischen und französischen Atom- und Kohlekraftwerken kommt. 

Um CO2 im Verkehr zu sparen, kann man genauso gut zu Fuß gehen oder das gute alte Fahrrad benutzen. Es handelt sich also um ein Lifestyle-Spielzeug für urbane Hipster in grüner Wohlfühl-Pose.