© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Verbindliche Empfehlungen
Sprachregelung: An deutschen Universitäten erhöht sich der Druck, in Seminararbeiten „gendergerecht“ zu formulieren
Hinrich Rohbohm

Es klingt wie ein gut gemeinter Rat. Doch der unsichtbare Druck, der sich hinter den Worten der Professorin verbirgt, ist für Leon M. unmißverständlich. Leon ist nicht sein richtiger Name. Den möchte der 20jährige lieber nicht in der Zeitung lesen. Zu sehr fürchtet der Student der Politikwissenschaft an der Leibniz-Universität Hannover, daß ihm dadurch Nachteile im Studium entstehen könnten. 

Im Dezember 2018 belegt er das Seminar „Einführung in die Politikwissenschaft“. Ein Kurs für die Erstsemester. Die Professorin läßt an die Studenten einen Text verteilen. Es ist ein gegendertes Schreiben. „Was fällt Ihnen an dem Text auf?“ fragt die Professorin in die Runde. Die Gender-Sprache ist von den Studenten schnell ausfindig gemacht. „Es entwickelte sich darauf eine Pro-und-Contra-Debatte über gegenderte Sprache, jeder argumentierte nach seiner politischen Façon“, erinnert sich Leon. Am Ende der Debatte steht die Aufforderung an die Studenten, ihre Hausarbeit zu gendern. Es ist die erste Hausarbeit im Regelstudienplan überhaupt. 

Leon M. entscheidet sich für „softes gendern“. Das bedeutet, er weist in seinem Vorwort seiner Hausarbeit darauf hin, daß die Benutzung ausschließlich maskuliner Formulierungen der Vereinfachung gelten würde und keinesfalls diskriminierend zu verstehen sei. Eine Ankündigung, mit der man sich aber an seiner Universität offenbar nicht zufriedengibt. 

„Es ist ja sicher nicht Ihre Absicht gewesen, diskriminierend zu schreiben“, wird ihm darauf zu verstehen gegeben. Und: „Perspektivisch sollte ich das doch künftig vermeiden und aus meinen Fehlern lernen“, erzählt Leon der JF. Zwar erfolgte ihm gegenüber keine offene Kritik und keine konkrete Aufforderung, die Arbeit zwingend gendern zu müssen. Dennoch ist da dieses beklemmende Gefühl, daß Leon M. beschleicht, dieser sanfte Druck, es künftig einfach anders machen zu müssen, will er keine Probleme im Verlauf seines weiteren Studiums erhalten. „Das war die versteckte Botschaft. Meine Herangehensweise ist fehlerhaft und ich muß daraus lernen. Mache ich das nicht, gibt es Probleme,  möglicherweise sogar eine schlechtere Benotung.“ 

Berliner Student weigert sich, Wortwahl anzupassen

Immer wieder trifft er während seines Studiums auf Formulierungen, bei denen die Studenten angehalten würden, sie zu meiden. „Beispielsweise wurden wir angeleitet, daß wir nicht von ‘Mutter-Kind-Räumen’ sprechen, weil das ebenfalls diskriminierend sei.“ Leon M. hat seinen Laptop angeschaltet. Im Internet ruft er die Netzseiten der Universität Hannover auf, klickt dort auf den „Leitfaden für geschlechtergerechtes Formulieren von Texten“, den die Universität herausgegeben hat. 

Sie lege „höchsten Wert darauf, daß ihre Mitglieder eine geschlechtergerechte Sprache verwenden und Schriftstücke geschlechtergerecht abfassen“, heißt es da bereits im gemeinsamen Vorwort des Universitätspräsidenten Volker Epping und der Gleichstellungsbeauftragten der Universität, Helga Götzmann. Und: „Die Vorgaben sind für den dienstlichen Verkehr als verbindlich zu betrachten.“ 

Unter Punkt 1 des Leitfadens heißt es zudem unmißverständlich: „Geschlechtergerechte Sprache ist auch in Hörsälen, bei Vorträgen usw. einzusetzen.“ Weiter steht unter Punkt 3: „Vermeiden Sie Formulierungen, die Stereotype oder Vorurteile beinhalten.“ Als Beispiele für solche „Stereotypen und Vorurteile“ führen die Leitfaden-Autoren neben dem „Mutter-Kind-Raum“ Ausdrücke wie „Milchmädchenrechnung“ oder die Bezeichnung „das starke Geschlecht“ an, die man nicht „unhinterfragt“ verwenden dürfe. 

Anfang dieses Jahres hatte die Stadt Hannover einen „Ratgeber für geschlechtergerechte Verwaltungssprache“ herausgegeben – als „Empfehlung“ für ihre Angestellten. Mit anderen Worten: Ob sie ihn umsetzen, bleibt den Verwaltungsmitarbeitern zumindest theoretisch selbst vorbehalten. Die Praxis hingegen dürfte anders aussehen, da es dort auch heißt: „Die neue Empfehlung ist für sämtlichen Schriftverkehr der Verwaltung verbindlich. Eine Empfehlung, die gleichzeitig verbindlich sein soll? 

Leon M. kennt diesen Wink mit dem Zaunpfahl, der einen in den vorauseilenden Gehorsam treibt. „An den anderen Fakultäten unserer Uni hat die Gender-Sprache längst nicht die starke Relevanz. Aber an unserer von Linken dominierten philosophischen Fakultät ist der Druck weitaus höher.“  

Daß man sich einem Gender-Sprachzwang jedoch nicht immer zwangsläufig unterwerfen muß, hat der Fall des Studenten Sebastian Zidek an der Technischen Universität Berlin gezeigt. Eine Lehrkraft seines Studiengangs Verkehrswesen hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß in wissenschaftlichen Arbeiten eine gendergerechte Sprache erwartet werde. Dies gehe aus einer Vorgabe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2012 hervor. Sollte er diese ignorieren, riskiere er eine schlechtere Note. Eine Diskussion darüber sei zudem zwecklos, habe man ihm zu verstehen gegeben. Zidek erkundigte sich bei der Rechtsabteilung der Universität nach der Vorgabe. Mit dem Ergebnis, daß es eine solche Vorgabe für die Technische Universität Berlin überhaupt nicht gibt. Grundlage für Bewertung und Benotung einer wissenschaftlichen Arbeit seien „üblicherweise Inhalte und Aussagen“, erklärte ihm die Rechtsabteilung.