© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Keine blühenden Landschaften
„Gleichwertige Lebensverhältnisse“: Der groß angekündigte Bericht über die Lebenswirklichkeit in Deutschland liefert kaum neue Erkenntnisse
Karsten Mark

Spott und Häme hatten sich – vor allem von links – über Horst Seehofer ergossen, als er bei den abschließenden Verhandlungen zur amtierenden Großen Koalition seinem Super-Ministerium zum Inneren und Bauen auch noch die Heimat hinzugefügte. Was das denn bewirken solle, dieses Heimatressort, wurde er daraufhin ständig gefragt. 

Die Antwort fiel immer ähnlich aus – so auch jetzt: „Das Ziel ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Heimat zu leben“, sagte der CSU-Minister vergangene Woche in Berlin bei der Vorstellung der Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Anders ausgedrückt: Niemand soll sich gezwungen sehen, in eine andere Stadt ziehen zu müssen, weil die Lebensqualität in seinem strukturschwachen Heimatort immer weiter abnimmt. Die Kommission war 2018 mit dem ambitionierten Ziel gestartet, die Lebensverhältnisse in ganz Deutschland in einer detaillierten Bestandsaufnahme zu erfassen. Finanzen, Verkehr, Pendlerbewegungen, Bevölkerungsentwicklung, Versorgung, Bildung und Sicherheit nahmen sechs unterschiedliche Fachgruppen unter die Lupe. So umfassend war das seit 1970 unter Innenminister Hans-Dietrich Genscher nicht mehr geschehen. 

Seehofer setzte sich gemeinsam mit der ebenfalls beteiligten Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) aufs Pressepodium – und weckte damit um so höhere Erwartungen. Die Ergebnisse des 117 Seiten umfassenden Berichts überraschen indes wenig: Es bestünden erhebliche Unterschiede in den „regionalen Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, bei der Verkehrs- und Mobilfunkanbindung und beim Zugang zu Angeboten der Grundversorgung und Daseinsvorsorge“, heißt es darin zusammenfassend. Viele überschuldete Gemeinden im Westen stünden nicht viel besser da als so manche Ostkommune. Zur Lösung der Probleme solle der Bund künftig Forschungseinrichtungen in strukturschwachen Regionen ansiedeln, den Wohnungsbau unterstützen, öffentlichen Nahverkehr ausbauen und den Glasfaserausbau vorantreiben.

„Reines Blendwerk, eine Luftnummer“

„Es gab sicher Versäumnisse“, gestand Seehofer der Süddeutschen Zeitung. Der Staat habe in den vergangenen 30 Jahren zu wenig investiert. „Wir haben versucht, Schwächen auszugleichen, etwa mit dem Soli. Aber man muß selbstkritisch sagen: Mit dem Stopfen von Lücken gelingt kein Strukturwandel. Und erst recht kein Aufbruch.“

Dörfer, Kleinstädte und strukturschwache Regionen sollen in Zukunft Vorrang haben bei der Vergabe von Fördergeldern des Bundes – und zwar unabhängig von Ost oder West. Wo allerdings das als notwendig erkannte zusätzliche Geld herkommen soll, bleibt weitgehend unklar. So dauerte es auch nicht lange, bis sich die Opposition zu Wort meldete. 

„Es wird alles so weitergehen wie bisher. Damit ist den ländlichen Räumen keinesfalls geholfen“, sagte etwa der Mittelstands- und strukturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Enrico Komning. „Die Kommission, fast ausschließlich mit Politikern und Beamten, aber ohne Fachleute und vor allem ohne das Wirtschaftsministerium besetzt, war von Anfang an nicht ernst gemeint.“ Ganz im Gegenteil: Sie sei „reines Blendwerk, eine Luftnummer“. Gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen koste Geld und politischen Willen. „Beides ist die Bundesregierung nicht bereit zu geben.“ 

Linken-Chef Bernd Riexinger forderte einen „Solidarpakt 3“ zur Förderung aller strukturschwachen Regionen. Grünen-Parlaments-Geschäftsführerin Britta Haßelmann sprach von einem „kraftlosen Alleingang der Bundesregierung“. Sie verwies darauf, daß innerhalb der Kommission mit Vertretern von Ländern und Kommunen kein gemeinsamer Abschlußbericht zustande gekommen sei. In der Tat kamen die Mitglieder der Kommission nur ein einziges Mal im Plenum zusammen – zu ihrer Gründung. Die FAZ berichtet, Seehofer, Klöckner und Giffey seien mit Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Scholz im Mai übereingekommen, das Kommissionsverfahren abzukürzen. Man wisse schließlich nicht, wie lange die Koalition noch halte.