© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

„Nichts ist mehr sicher in unserem Land“
Sexueller Mißbrauch: Die jüngste Gruppenvergewaltigung in Mülheim an der Ruhr sorgt für eine Debatte um die Senkung des Strafmündigkeitsalters
Björn Harms

Die Plakate, die auf dem Mülheimer Rathausmarkt sichtbar wurden, waren eindeutig: „Opferschutz statt Täterschutz“ und „Nichts ist mehr sicher in unserem Land“ prangte auf den Bannern, die rund 60 Personen hochhielten. Sie hatten sich am Sonntag zu einer Mahnwache für das Opfer eines grausamen Sexualdeliktes versammelt. 

Drei 14jährige und zwei zwölfjährige Bulgaren stehen im Verdacht, am 5. Juli eine 18jährige Deutsche in einem Waldstück in Mülheim an der Ruhr vergewaltigt zu haben. Einer der 14jährigen sitzt derzeit wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft, er fiel bereits vorher durch sexuelle Übergriffe auf. Die beiden Jüngsten aber sind strafunmündig und somit auf freiem Fuß. Ihre Familien, die alle in einer Straße leben, sollen dem Jugendamt seit langem bekannt sein. „Ich bin heute hier, weil der Oberbürgermeister endlich mitbekommen soll, was hier in unserer Stadt abgeht“, beklagte eine der Teilnehmerinnen der Mahnwache gegenüber der WAZ. „Ich bin nicht nur für meine Tochter hier, sondern auch für alle anderen Kinder. Der Umgang mit minderjährigen Tätern ist viel zu lasch.“ 

Der Fall hatte bundesweit eine Debatte über die Senkung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf zwölf Jahre ausgelöst. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach sich gegenüber der Augsburger Allgemeinen jedoch dagegen aus: „Strafrechtliche Verantwortung setzt einen bestimmten Entwicklungsstand voraus, der bei Kindern unter 14 Jahren regelmäßig nicht gegeben ist.“ Empörung allein sei kein guter Ratgeber. 

An eine Rückführung der Familien der Tatverdächtigen, wie von der Stadt geprüft, ist ebenfalls nicht zu denken. Die Voraussetzungen dafür seien nicht gegeben, führte ein Sprecher der Stadt aus. Gemäß EU-Recht ist eine Rückführung aus Deutschland in ein anderes EU-Land nur möglich, wenn jemand keine Arbeit hat, keine Arbeit sucht und auch nicht nachweisen kann, daß er eine sucht. Die Väter der Familien hätten jedoch Arbeitsverträge vorzeigen können.  

Ähnliche Vorfälle hatten in den vergangenen Monaten immer wieder für Diskussionen gesorgt. Anfang Juli war das Urteil gegen acht ebenfalls bulgarischstämmige Jugendliche, die in Velbert eine 13jährige mißbraucht hatten, vom Landgericht Wuppertal rechtskräftig bestätigt worden. Fünf der Täter erhielten Jugendstrafen zwischen zwei und vier Jahren, die übrigen drei kamen mit Bewährung davon. Ende Juni war bekanntgeworden, daß vier Männer türkischer, marokkanischer, libanesischer und palästinensischer Abstammung in der Düsseldorfer Altstadt mehrere Frauen vergewaltigt haben sollen. Im Juli 2018 sollen sich sechs Afghanen in München an einer 15jährigen vergangen haben.

In Freiburg hat gerade der Prozeß um eine weitere Gruppenvergewaltigung begonnen: Zehn Syrern und einem Deutschen im Alter von 19 bis 30 Jahren wird vorgeworfen, sich im Oktober 2018 über mehrere Stunden nacheinander an einer 18jährigen vergangen zu haben. Die Angeklagten bestreiten die Tatvorwürfe. Bislang haben sich zwei von ihnen geäußert. Sie sagen, der Sex sei einvernehmlich gewesen. Zwar wäre die 18jährige berauscht gewesen, habe aber gewußt, was sie tat. Am 24. Juli wird die Verhandlung fortgesetzt.