© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Crash-Propheten finden Zustimmung
Finanzstabilitätsbericht: Bafin und Bundesbank sehen deutliche Krisenzeichen
Paul Rosen

Die Propheten der nächsten Finanz- und Wirtschaftskrise wie das Autoren-Duo Marc Friedrich und Matthias Weik („Der Crash ist die Lösung“), Manfred Haferburg („Wer kollabiert zuerst: Der Planet oder der Euro?“) oder „Mr. DAX“ Dirk Müller („Die Märkte sind massiv manipuliert“) haben etwas gemeinsam: Eines Tages werden sie recht haben, denn die Krise wird kommen. Schwierig ist es nur mit einem genauen Datum.

Doch inzwischen sind sogar offizielle Quellen dem Krisenchor beigetreten und singen lauthals mit: Der Ausschuß für Finanzstabilität – in dem Bundesregierung, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und Bundesbank ihr Fachwissen zusammentragen – gibt in seinem jüngsten, mit alarmistischen Tönen versehenen Bericht Hinweise, daß der Crash nicht mehr lange auf sich warten läßt. 2020 könnte das finanzielle Kartenhaus in Deutschland und dann auch in Europa und eventuell sogar weltweit zusammenfallen. Faktoren wie Handelskrisen, der Iran-Konflikt, der Brexit und Chinas langsamer wachsende Wirtschaft – 6,2 Prozent sind der geringste Wert der vergangenen drei Jahrzehnte – wirken zusammen mit Euro-Problemen und nationaler Konjunkturschwäche wie ein Giftocktail.

Noch zeichnet die Bundesregierung ein optimistisches Bild vom deutschen Exportweltmeister, der seit der Finanzkrise vor zehn Jahren auf Wachstumskurs sei. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erwartet in diesem Jahr gar ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,5 und 2020 von 1,5 Prozent. Am Arbeitsmarkt herrsche faktisch Vollbeschäftigung und die Löhne würden sich positiv entwickeln, heißt es.

Aus der Wirtschaft aber kommen ganz andere Nachrichten: So rechnen laut Ifo-Institut 8,5 Prozent aller Industrieunternehmen mit Kurzarbeit, die Bestellungen bei der Industrie brachen im Mai im Vergleich zum Vormonat um 2,2 Prozent ein, gegenüber dem Vorjahresmonat sogar um 8,6 Prozent. Erwartet worden war ein leichter Anstieg. Besonders stark bergab ging es bei Autos und Maschinen – Deutschlands Schlüsselindustrien. Von Daimler gibt es inzwischen Gewinnwarnungen. Der Sentix-Index, der die Stimmung der Investoren mißt, fiel auf den tiefsten Stand seit November 2009. „Eine Rezession scheint unausweichlich“, sagt Patrick Hussy von der namensgebenden Analysefirma.

Die Giftigkeit wird besonders deutlich, beim Vergleich der Finanzstabilitätsberichte von 2018 (Bundestagsdrucksache 19/3080) und 2019 (Bundestagsdrucksache 19/10688). 2018 wurden schnell steigende Zinsen ebenso als Problem für die Finanzstabilität angesehen wie eine dauerhafte Niedrigzinsphase. Die gute Konjunktur jedoch wurde als Stütze des ganzen Systems bezeichnet.

Kühlt die Konjunktur ab, droht Arbeitslosigkeit

2019 ist von guter Konjunktur keine Rede mehr. Wirtschaftsbosse wie der Präsident des Verbandes Maschinen- und Anlagenbau, Carl Martin Welcker, geben zu Protokoll, schon viele Krisen erlebt zu haben, so eine wie jetzt aber noch nicht. Käufer stornierten zunehmend Aufträge und kauften selbst fertige Maschinen nicht mehr.

Die Entlassungswellen in der Chemie­industrie (BASF: 6.000 Entlassungen, Bayer: 12.000) und im Automobilbau (Ford-Europa: 12.000) sowie bei der Deutschen Bank (18.000) kündigen eventuell sogar einen Tsunami in der Wirtschaft an. Die Großbanken liegen seit 2008 ohnehin am Boden. Die Commerzbank- und die Deutsche-Bank-Aktie stürzten von 218 Euro beziehungsweise 112 Euro auf heute unter sieben Euro ab.

Daß die Eurozone weiter wankt, erfuhren die Mitglieder des Bundestags-Finanzausschusses von Bundesbank-Vorstandsmitglied Claudia Buch, die in dem Gremium laut Teilnehmern erklärte: „Wer verneinen will, daß Italien ein erheblicher Risikofaktor ist, würde nicht die Wahrheit sprechen.“ Von Frankreich, dessen Haushaltsspielräume wesentlich geringer sind als die von Italien und das seinen Schuldenstand ebenfalls nicht in den Griff bekommt, sprach Buch gar nicht erst; in Berlin wird die prekäre Finanzsituation Frankreichs ebenso wie in Brüssel aus Rücksicht auf den Heldenstatus genießenden Präsidenten Macron mit dem Mantel des Schweigens umhüllt. Frankreich und Italien haben jeweils 2,3 Billionen Euro Staatsschulden; jede Zinserhöhung würde beide Länder ins Mark treffen.

Laut Finanzstabilitätsbericht 2019 haben sich im deutschen Finanzsystem Verwundbarkeiten angehäuft. Natürlich bleiben steigende Zinsen ein Risiko – allerdings eines, mit dem niemand mehr rechnet – nachdem selbst die amerikanische Notenbank FED die Zinsen senken will und die designierte Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, die Nullzinspolitik von Mario Draghi nahtlos fortsetzen dürfte. Seit 2016 liegt der Leitzins der EZB bei null Prozent (vor der Finanzkrise 2009 noch bei vier Prozent). So gibt es auf ein Sparbuch mit 10.000 Euro heute einen Euro an Zinsen pro Jahr, vor 2009 waren es bis zu 400 Euro.

Hoch riskant sei dagegen ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. „Bricht die Konjunktur ein, dürften die Haushaltseinkommen sinken und die Arbeitslosigkeit steigen. Damit dürfte sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß Wohnimmobilienkredite nicht mehr bedient werden“, heißt es im Finanzstabilitätsbericht. Wenn die entlassenen Chemie- und Automobilarbeiter oder Banker die Raten für ihre Immobilienkredite nicht mehr zahlen können, platzt die Immobilienblase. Folglich sieht der Bericht massive Risiken bei den Altkrediten der Banken, welche bereits reagieren und von künftigen Hauskäufern mehr Eigenkapital fordern.

Ihre Sicherheiten haben Banken zu hoch bewertet

Bundesbank-Vorstand Buch berichtet dem Finanzausschuß, die Immobilienpreise (und damit die Kreditbewertungen in den Bankbilanzen) in deutschen Städten lägen 15 bis 30 Prozent über dem Niveau, das durch längerfristige wirtschaftliche und demographische Faktoren gerechtfertigt erscheint. Das heißt: Die Banken haben ihre Sicherheiten in den Bilanzen zu hoch bewertet. Im Krisenfall könnten diese nicht eingefordert werden. Buch folgert daraus: „Wenn sich die globale Konjunktur eintrübt oder politische Risiken eintreten, könnte dies einen Anstieg der Risikoprämien an den Finanzmärkten auslösen. Insbesondere ein unerwarteter Rückgang der aktuell hohen Bewertungen für Immobilien könnte das deutsche Finanzsystem empfindlich treffen.“

Lebensversicherungen und Pensionskassen haben ebenfalls wegen der Niedrigzinsphase mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Selbst große Versicherer wie die italienische Generali haben ihr Lebensversicherungsgeschäft bereits eingestellt oder planen dies. Pensionskassen wie die der Steuerberater und der Caritas müssen eventuell die Bestandsrenten kürzen. Der Bericht hält dazu fest, die Unternehmen hätten in der Vergangenheit häufig Verträge mit hohen Zinsen angeboten, die sie heute nicht mehr erwirtschaften könnten. Die Bafin hat unterdessen einen ganze Reihe von Versorgungskassen unter verschärfte Aufsicht gestellt.

Oft wichtiger als das, was darinsteht, ist aber, was in einem Bericht fehlt. 2018 noch präsentierte die Bundesbank ihren graphischen „Frühwarnindikator für Deutschland“. In der Grafik werden die wichtigsten Finanzdaten zusammengetragen. „Der Gesamtindikator gibt derzeit kein Warnsignal, steigt seit Ende 2015 aber an“, hieß es. Wer die Linie der Grafik weiterführte, kam unweigerlich auf einen Krisenbeginn im Jahr 2020. Im neuen Bericht fehlt ausgerechnet dieser Frühwarnindikator.