© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Bis die letzte Flamme erloschen ist
CO2-Steuern: Wirtschaftsweise sehen derzeitige Klimapolitik als Industriepolitik / EU allein kann den Klimawandel nicht aufhalten / Vorreiterrolle angestrebt
Paul Leonhard

Das Sondergutachten „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ ist eine gewaltige Ohrfeige für die deutsche Klimapolitik. Obwohl es für den Energiesektor kein eigenes EU-Ziel für Deutschland gibt, würden die beiden teuersten nationalen Projekte zur Emissionsreduktion bei der Energieerzeugung stattfinden: der Kohleausstieg und die Förderung erneuerbarer Energien.

Beides seien Projekte, die eher als industrie- und nicht klimapolitisch einzuordnen seien, heißt es in der Studie des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Beides wäre „im Zeitlauf durch einen Kohlendioxidpreis ohnehin bewirkt“ worden, „dann allerdings zu einem volkswirtschaftlich effizienten Zeitpunkt“.

Weiter führe die beschlossene Abschaltung der Kohlekraftwerke ohne zusätzliche Maßnahmen wie der Löschung von Zertifikaten zu keiner Reduktion der CO2-Emissionen, halten die von der Bundesregierung beauftragten Wirtschaftsweisen fest. Ohnehin hätten die klimapolitischen Maßnahmen Europas kaum Auswirkungen auf den Klimawandel. Die EU stoße nur 10,5 Prozent des vom Menschen freigesetzten CO2 aus. Selbst ein Komplettverzicht Europas, halte den Klimawandel nicht auf.

Da die EU „nur einen sehr kleinen direkten Beitrag zur Eindämmung der Erderwärmung“ leisten könne, müsse sie auf eine weltweit einheitliche Bepreisung von Treibhausgasemissionen hinwirken. Je mehr Europäer dabei Vorreiter sind, desto stärker sei ihre Verhandlungsposition, schreiben die Gutachter. Es gehe bei der geplanten Einführung einer CO2-Steuer auch in Deutschland um die Vorbildwirkung Europas, das der Welt zeigen wolle: Es könne gelingen, die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele „effizient und ohne größere gesellschaftliche Verwerfungen“ zu erreichen.

Sollte die Politik eine CO2-Steuer einführen, sei dies einfach und schnell umsetzbar, indem Kraftstoffe und Heizöl besteuert würden. Empfehlenswert sei ein niedriger Einstieg zwischen 25 und 50 Euro pro Tonne CO2, heißt es in der Studie. Die Deutschen würden abhängig von ihrem CO2-Ausstoß unterschiedlich stark be- oder entlastet. Die Kopfpauschale sollte mit zunehmender Haushaltsgröße gemindert werden, bei Härtefällen weiterhin die bestehenden Mechanismen im deutschen Transfersystem greifen. Wohngeld könne angepaßt werden.

Ökonom und Mitautor des Gutachtens Ottmar Edenhofer sagte gegenüber Spiegel Online 50 Euro und einen schrittweisen Anstieg auf 130 Euro bis 2030 voraus. „Für die Autofahrer würde sich der Preis für einen Liter Benzin, inklusive Umsatzwertsteuer, dadurch anfangs um 14 Cent und bis zum Jahr 2030 um insgesamt 37 Cent erhöhen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete das Sondergutachten als „fundierte Grundlage“. Am 18. Juli soll das Klimakabinett darüber beraten. Entscheidungen sollen Ende September folgen.