© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Narben sind bis heute geblieben
Dresden: Vor zehn Jahren verlor die Elbestadt wegen des Baus einer Brücke ihren Unesco-Welterbetitel
Paul Leonhard

Die Waldschlößchenbrücke ist für die Dresdner heute eine Selbstverständlichkeit. 35.000 Autos und mehr als 3.500 Radfahrer nutzen täglich das vor sechs Jahren eingeweihte Bauwerk, das deutschlandweit bekannter sein dürfte als die berühmte Stahlbrücke „Blaues Wunder“, die Loschwitz und Blasewitz verbindet. Denn die moderne Betonbrücke gilt als Sinnbild für die Sturheit der Dresdner, die bei aller grundsätzlich konservativen Lebenseinstellung dem Neuen nicht abgeneigt sind, vor allem wenn sie Neuerungen für dringend erforderlich halten. Da zählt dann selbst ein Weltkulturerbe-Titel nichts.

Vor genau zehn Jahren verlor die Kunst- und Kulturstadt diesen Titel, weil sich zwei Drittel der Wahlberechtigten in einem Bürgerentscheid für den Bau dieser 2,5 Kilometer vom historischen Zentrum flußaufwärts gelegenen Elbquerung aussprachen. Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit, der die Dresdner Stadtgesellschaft nachhaltig spaltete und selbst in den meisten Familien so heftig geführt wurde, daß bis heute Narben geblieben sind.

So hüten sich viele Dresdner davor, wenn sie generationenübergreifend beim Picknick an den Elbwiesen sitzen, den „Brückenstreit“ anzusprechen, auch wenn sich in Sichtweite die 631 Meter lange Stahlverbundkonstruktion der Waldschlößchenbrücke an einer der breitesten Stellen über die Elbauen spannt. Diskutiert wird heute höchstens noch über das weithin sichtbare grelle Lichtband des Geländerhandlaufs, der die Brücke beleuchtet.

Dabei stritten Befürworter und Gegner einst mit hanebüchenen Argumenten, schreckten vor Lügen nicht zurück, für mehr als ein Jahrzehnt war die Stadt in zwei Lager gespalten. Selbst der Bundestag diskutierte über das Dresdner Problem. Es gab Massenproteste, Sitzblockaden, Besetzungen von Baumaschinen, aber nicht einmal eine neue Visualisierung des geplanten Bauwerkes. Schließlich alarmierten die Brückengegner die Weltkulturerbe-Kommission, die das Bauwerk inmitten der Kulturlandschaft Dresdner Elbtal erwartungsgemäß ablehnte, die sächsische Landeshauptstadt auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes setzte und Dresden schließlich 2009 den Titel aberkannte.

Zahl der Dresden-Besucher steigt kontinuierlich

In Dresden war man zwar sauer, aber die vierspurige Brücke wurde trotzdem gebaut. Schließlich hatte sich aus ihrer Sicht an der „Einzigartigkeit des Dreiklangs aus Fluss, Landschaft und Architektur“ – mit dieser Begründung hatte die Unesco im Juli 2004 die Kulturlandschaft zwischen den Schlössern Pillnitz im Osten und Übigau im Westen zum Weltkulturerbe erklärt – nichts geändert. Die Dresdner seien schon seit Jahrhunderten in der Lage, über eine anspruchsvolle und landschaftsverträgliche Bebauung selbst und ohne äußere Einflußnahme zu entscheiden, argumentierten die Brückenbefürworter selbstbewußt. Da mochten Künstler wie Günter Grass, Durs Grünbein, Christoph Hein, Rolf Hoppe, Klaus Staeck, Martin Walser und Wim Wenders auch ganz anderer Ansicht sein.

Praktische Auswirkungen hatte der Titelverlust kaum. „Die Touristen kommen trotzdem“, hatte Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf seinerzeit prognostiziert und zum Verzicht auf den Welterbe-Status geraten. Tatsächlich stieg seit dem Jahr der Aberkennung die Zahl der Besucher kontinuierlich an. Auch als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Forschungsstandort wird Dresden immer beliebter.

Der Brückenbau führte wie prognostiziert zu einer Verkehrsentlastung. Die sehr gute Nutzung der Waldschlößchenbrücke zeige, daß es „eine hohe Akzeptant in der Bevölkerung gibt“, sagt Rathaussprecher Kai Schulz, um hinzuzufügen: Selbstverständlich sei der Verlust des Welterbe-Titels auch zehn Jahre danach zu bedauern.

Selbst die von Umweltverbänden eigentlich zur Verhinderung des Baus entdeckte Fledermausart Kleine Hufeisennase, die nahe des Brückenstandorts siedeln soll, erwies sich als Segen. Die Naturschützer erzwangen per Gerichtsentscheid eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h auf der Brücke. Diese läßt die Stadt mit stationären Blitzern überwachen, was einer Brückenmaut gleichkommt, denn rund 100.000 Kraftfahrer haben bisher weit mehr als drei Millionen Euro an die Stadtkasse zahlen müssen.

Bis heute gibt es keine gültige Baugenehmigung

Zur Ironie der Brückengeschichte gehört auch, daß es bis heute keine gültige Baugenehmigung für die Waldschlößchenbrücke gibt. Denn für diese hätte ein Umweltgutachten vorgelegt werden müssen, wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat. An diesem wird noch immer gearbeitet. Aber nicht einmal der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) rechnet mehr damit, daß das 180 Millionen Euro teure Bauwerk wegen Nichteinhaltung von Umweltstandards wieder abgerissen werden muß. „Wir hoffen aber, daß Schäden an der Natur, die das Gutachten feststellt, ausgeglichen werden“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer David Greve der Bild-Zeitung.

Dresden wäre aber nicht Dresden, wenn es nicht schon eine neue Initiative für eine Welterbe-Bewerbung geben würde. Den Schutzstatus soll diesmal die Gartenstadt Hellerau im Norden der Stadt erhalten. Die enstand nach den Vorstellungen der Reformbewegung des späten 19. Jahrhunderts und gilt als erste echte deutsche Gartenstadt. Gründer war der Industrielle Karl Schmidt, der auf dem leicht hügeligen Gelände am Rande der Dresdner Heide neue Gebäude für seine Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst samt einer Wohnsiedlung für seine Arbeiter und Angestellten errichten ließ. Ziel war es, eine vorbildliche Architektur in schöner Landschaft zu schaffen, die zur Bildung einer besseren menschlichen Gesellschaft beitragen sollte.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden hier Villen und Gebäude im Kleinhausstil sowie eine Holzhaussiedlung mit Musterhäusern der Deutschen Werkstätten. Herausragend dabei das von Heinrich Tessenow zwischen 1910 und 1912 gebaute Festspielhaus, das nach seiner Zweckentfremdung als Polizeischule und Offizierskasino der Sowjetarmee saniert und wieder seinem eigentlichen Zweck zugeführt wurde.

Frühzeitig unter Denkmalschutz gestellt, hat Hellerau bis heute seinen Charakter als Gartenstadt weitgehend erhalten können und lockt – mit der Straßenbahn bequem erreichbar – zahlreiche Fremde zum Bummeln ein.