© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Wenn ein Bild mehr sagt als Worte
Kunstautonomie: Der Leipziger Maler Neo Rauch wehrt sich gegen Blockwarte und „Anbräuner“
Paul Leonhard

Nie wieder lassen wir uns von Blockwarten jeglicher Couleur das Maul verbieten, den Schnabel verbiegen und eine Richtung vorgeben.“ Mit diesem Zitat aus einem Spiegel-Interview von vor drei Jahren hätte der in der DDR sozialisierte Maler Neo Rauch auf die politischen Unterstellungen eines Kunstkritikers antworten können. Doch er zog die ihm eigene Sprache vor, also nicht die der Worte, sondern die der Bilder. Ein Kunstwerk oder genauer eine Karikatur übermittelte er jetzt Ende Juni jenem Medium, das die Schmähungen abgedruckt hat. Schön für die Auflage der Wochenzeitung Die Zeit, weniger schön für das Niveau, auf dem sich die Debatte um die Freiheit der Kunst inzwischen bewegt.

Denn das Gemälde zeigt einen Mann, der nicht ganz exakt auf einem Nachttopf sitzt, damit der Betrachter genau erkennen kann, was da aus dem Hintern quillt. Und mit diesen Exkrementen zeichnet er eine Figur auf eine Leinwand mit Hitlerbärtchen und hochgerecktem rechten Arm sowie den Initialen W. U. „Der Anbräuner“ hat Rauch sein jüngstes Werk genannt und es einem Anschwärzer namens Wolfgang Ullrich gewidmet. Dieser hatte in der Zeit denunziatorisch geschrieben, daß sich auch bei Rauch „einige Motive rechten Denkens“ fänden.

Rauch bekennt sich zu Uwe Tellkamp

 „Das ist beileibe kein harmloser Vorwurf in politisch aufgewühlten Zeiten“, sagte dazu Kulturredakteur Andreas Höll in einem Interview mit seinem Sender, dem Mitteldeutschen Rundfunk, „denn rechts suggeriert sofort die Nähe zu Rechtsextremismus und Verfassungsfeindlichkeit, und oftmals werden so auch Menschen attackiert, die konservative Positionen vertreten.“

Läuft hier eine Medienkampagne gegen einen der erfolgreichsten und teuersten – Rauchs Werk „Kalter Mai“ von 2010 wurde auf der Messe „Art Cologne“ für rund 1,1 Millionen Euro angeboten –Vertreter der Neuen Leipziger Schule, bei der man die persönlichen Befindlichkeiten des Kritikers Ullrich gegen Rauch („Salonmaler“, „Siegerkünstler“, „schwülstiger Historismus“) einfach nutzt? Soll so anderen wirklich oder angeblich „rechts gesinnten“ Künstlern gezeigt werden, wer – um Wolf Biermann zu zitieren – in diesem Staat die Macht hat?

Ullrich hatte in seinem Beitrag darüber nachgedacht, daß „rechts gesinnte Künstler als letzte Verteidiger der Kunstfreiheit auftreten“: Die Kunstautonomie, die zwei Jahrhunderte lang das Ideal gerade linker und liberaler Milieus war, wechsle die Seiten, denn sie wird „von links mit Mißtrauen belegt und von rechts adoptiert“, schreibt der Kritiker und nennt als von ihm erkannte Rechte unter anderem auch Neo Rauch.

Aus Ullrichs Sicht habe sich Rauch falsch verhalten, als er sich verächtlich zur Political Correctness äußerte und von einer „Bagage der Blockwarte, der Gesinnungsschnüffler und Politkommissare“ sprach. Überdies, und das nimmt ihm ein anderer Zeit-Autor besonders übel, habe sich der Maler gegenüber dem Handelsblatt zu dem Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp bekannt, als die Wochenzeitung bereits den Stab über den Erfolgsautor gebrochen hatte und dieser sich in Dresden angeblich „wegen seiner Haltung in der Flüchtlingsdebatte dem Vorwurf ausgesetzt sah, rechts zu sein“. Allerdings übersieht der Zeit-Redakteur dabei, daß dies in der sächsischen Landeshauptstadt kein Vorwurf ist, sondern eher Sympathie auslöst.

„Anbräuner“ gibt es aber auch in einer Dresdner Stadtteilzeitung, die Tellkamp oder die Loschwitzer Buchhändlerin Susanne Dagen anfeindet. Zumal der Schriftsteller auch noch die Kampagne „Erklärung der Vielen“ als „Tiefpunkt der Debatten- und Toleranzkultur“ bezeichnet hat, die „von nichts anderem als dem moralischen und intellektuellen Bankrott der Initiatoren“ zeuge.

Das Echo der links eingestellten Medien und der staatlich alimentierten Kunstinstitutionen war derart voller Häme, daß ein Bekenntnis Rauchs zu Tellkamp – „Ich fühle mit ihm, er ist ein lauterer Charakter“ – aus heutiger Sicht schon Mut erfordert. Rauch hat sich damit, wie der wegen seiner AfD-Nähe von einer Ausstellung ausgeschlossene Leipziger Maler Axel Krause über sich selbst sagte, „weit aus dem Fenster gelehnt“.

Dabei sei Rauch niemals ein politischer Aktivist gewesen, er habe sich „vielmehr immer wieder kritisch zum Zeitgeschehen geäußert, ohne dabei Partei zu ergreifen für eine bestimmte politische Gruppierung“, zeigt sich MDR-Kulturredakteur Andreas Höll über die scharfen Attacken gegen den Maler verwundert. Allerdings hat der Angegriffene einmal etwas gesagt, das die klassenkämpferische linke Künstlerszene ins Mark getroffen haben dürfte: „Die Forderung, Kunst hat Waffe zu sein in den Kämpfen unserer Zeit, wurde bis in die achtziger Jahre an uns herangetragen, und damit soll mir niemand mehr kommen.“ Im Augenblick dominiere unter den Künstlern ein „Funktionärstyp, gepaart mit jakobinischen, inquisitorischen Reflexen“. Er habe einfach nur ein großes Distanzbedürfnis gegenüber dieser Klientel, sagte Rauch 2016 dem Spiegel.

Wie sehr die Denunziationen selbst einem weltweit gefeierten Künstler wie Rauch innerlich zu schaffen machen, zeigt die schnelle, direkte und polemische Antwort des sonst als Meister der Verrätselung geltenden Malers. Aber ist das neue Bild wirklich eindeutig? Kunstkritiker Ullrich ist sich da nicht sicher: „Ich glaube, er malt in dem Bild sich selbst in der Situation, wo er sich so bedroht fühlt durch diese vermeintlichen Blockwarte und Politkommissare, von denen ich offenbar einer bin“, sagte er dem Deutschlandfunk. Neo Rauch sei ja stolz darauf, daß seine Bilder vieldeutig sind.

Machterhalt geht vor Meinungsfreiheit

Es geht aber nicht nur um den Streit zwischen Rauch und „Anbräuner“ wie Ullrich, sondern um einen Kulturkampf, der in Deutschland ausgebrochen ist, weil für Linke, Grüne, SPD und selbst Vertreter der Union die Meinungsfreiheit Andersdenkender kaum mehr ein sorgsam zu schützendes Gut mehr ist, wenn es um den eigenen Machterhalt geht.

Der AfD-Slogan „Kein Cent für politisch motivierte Kunst“ sei nicht „nur eine Botschaft von Rechten für Rechte“, schreibt der Berliner Kunstphilosoph Harry Lehmann unter der Überschrift „Die dritte Option der Kunstfreiheit“ auf Zeit Online am 28. Mai: „Das zielte auch auf ein kulturkonservatives Bürgertum, das sich seinen Schiller nicht länger dekonstruieren lassen möchte, und es sprach eine ostdeutsche Wählerschicht an, die noch weiß – und es ihren Kindern vermittelt –, wie einst Parteisekretäre den Klassenstandpunkt in der Kultur durchgesetzt haben.“ Insofern sei Ullrichs Essay „wohl in erster Linie als Weckruf an die politische Linke gedacht“.

Lehmann nennt mindestens drei Haltungen zur Kunstautonomie, die inzwischen miteinander konkurrieren: „Erstens eine klassisch-konservative Haltung, bei der die Freiheit der Kunst von einer Tradition und einem Habitus begrenzt wird. Zweitens ein Kunstverständnis, das die Kunstautonomie aufgrund politischer Überzeugungen suspendiert, wobei man hier nicht nur mit linken, sondern auch mit rechten Kunstaktionen rechnen muß, wie sie von der Identitären Bewegung unternommen werden. Und drittens gibt es die Option einer autonomen Kunst, die all ihre Autonomiegewinne reflektiert und ihre gesellschaftliche Funktion in einem vorpolitischen Feld sieht.“

Im eingangs zitierten Spiegel-Interview hat Rauch auch gesagt: „Als Maler ist man ein Mensch mit einer besonders feinen Witterung für das Nachzittern oder das Vorzittern von unguten Ereignissen.“