© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Internationalisierung des deutschen Bewußtseins
Hoch die Welt- und Geschlechtergerechtigkeit: Elixiere präsentiert aus unseren akademischen Hexenküchen
Dirk Glaser

Gudrun Sonnenberg, Redakteurin der Deutschen Universitätszeitung (DUZ), gibt die Gans vom Kapitol und leitartikelt hektisch, daß ein Viertel der Wählerstimmen bei der letzten Europawahl an „rechtspopulistische Parteien“ gingen, von denen „Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit zu befürchten“ seien. Womit sich Zustände wie in Ungarn ankündigten, wo Viktor Orbán die Zulassung von Gender-Studiengängen aufhob. Und das „mitten in Europa, dem Eldorado der Wissenschaftsfreiheit“, deren wackerer Verteidigung das jüngste DUZ-Heft (6/2019) gewidmet ist.  

Sonnenberg scheinen Entwicklungen „mitten in Europa“ entgangen zu sein, die darauf hindeuten, daß heute die gefährlichsten Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit nicht von außen, sondern von innen kommen. Denn nachdem, aus den USA importiert, die Sprechverbote Politischer Korrektheit und das hysterische Geschrei von Schneeflöckchen nach „persönlichen Schutzräumen“ deutsche Hörsäle mit McCarthys Dunst verpesten, stehen auch hierzulande Dozenten und Studenten in der ersten Schlachtreihe des Kampfes gegen die Lehr- und Forschungsfreiheit. 

Es herrscht wie in den frühen 1950ern, als die SED Josef W. Stalins Parole „… stürmt die Festung Wissenschaft“ zur Gleichschaltung mitteldeutscher Universitäten aufrief, wieder „Jagdstimmung“ auf dem Campus (Cicero, 6/2019), wenn etwa trotzkistische Psychopathen zur Hatz gegen den notorisch als „Rechtsradikalen“ und „Nazi-Apologeten“ diffamierten Berliner Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski blasen. Ein Haberfeldtreiben, das harmoniert mit jener „strukturellen Sowjetisierung der Geisteswissenschaften“, die Baberowskis Bochumer Fachkollege Stefan Plaggenborg soeben in einer fulminanten Philippika aufs Korn nahm (FAZ vom 3. Juli 2019). Seit Beginn der Bologna-Reform befänden sich deutsche Hochschulen, so paradox es klinge, im Würgegriff einer „neoliberalen Planwirtschaft“, die der „Freiheit der individuellen Forschung“ die Luft abschnüre und die in der Professorenschaft „Konformismus und Servilität bis hin zum Kriechertum“ fördere.    

Vorteil ist „Nähe zu diversen aktivistischen Praktiken“

Als wäre dies nicht schon genug der Schrecken, klettern aus dem Bauch trojanischer Pferde, der Pseudowissenschaften Gender & Co., Semester für Semester mehr Truppen zum Sturm auf die „Festung Wissenschaft“. Deren Platzvorteil, wie es in einem DUZ-Beitrag über die Geschlechterstudien heißt, ihre „Nähe zu diversen aktivistischen Praktiken“ sei. Was niemanden erstaunen solle, denn Wissenschaft sei „immer auch politisch“. Womit die Grenzen konkreter Freiheit von Wissenschaft durch den Staatshaushalt klar abgesteckt sind. Gefördert wird von jeher nicht „die“ Wissenschaftsfreiheit, sondern die Generierung des Wissens, das den Herrschenden als gesellschaftlich nützlich gilt. Von diesem Prinzip profitieren gegenwärtig in gesteigertem Maß alle Subdisziplinen der Soziologie und Politologie, die sich als „Forschung“ zu „Rassismus, Migration, Geschlecht, Postkolonialismus, Kritisches Weißsein, Diversität“ verstehen, tatsächlich aber die universalistische One-World-Ideologie mit diffusen Paradiesvisionen globaler Gerechtigkeit verbreiten. 

Während in Ungarn der Gender-Ideologie der Geldhahn zugedreht wird, sprudeln für sie hierzulande die Steuerquellen immer üppiger. So startet zum Wintersemester 2019/20 schon an der vierzehnten deutschen Hochschule, an der FU Berlin, ein Gender-Masterstudiengang. Der Unterschied erklärt sich aus der Nachfrage. Weil Führung und Volk dort kein Interesse haben am, wie es der Harvard-Politologe Yascha Mounk nennt, „sozialen Experiment“ der eigenen Abschaffung durch Umvolkung, ist Ungarns Gender-Bedarf gering. Im Gegensatz zu Deutschland. Hier ist die Nachfrage hoch, weil die vom Genderismus propagierte „Abkehr von der Zweigeschlechtlichkeit“, eine mit totalitärer Intensität in alle Schulen, Universitäten, Medien, Ministerien und Unternehmen diffundierte Routine der Gehirnwäsche, die Christina von Braun im DUZ-Interview ernsthaft als segensreiche „größte soziale Umwälzung der letzten Dekaden“ verkauft, Hand in Hand geht mit dem Umbau der Nation zum Vielvölkerstaat.

Für die Kulturwissenschaftlerin von Braun, die 1997 an der HU Berlin den ersten deutschen „Gender Studies“-Studiengang einrichtete, ist der Zusammenhang zwischen Gender- und Multikulti-Ideologie genauso logisch wie der heute durch den „Populismus“ auffrischende „massive Gegenwind“. Denn Migration, das massenhafte Einströmen von Fremden nach Europa, und das „Flexibelwerden der Geschlechterverhältnisse“ lösen bei Millionen autochthoner Somewheres zwei gleichermaßen verstörende, von der bestversorgten Frau Professorin Anywhere jedoch heiß ersehnte Ängste aus. Die Menschen fürchteten sich vor heilsamer Mobilität, vor Orientierungs- und Stabilitätsverlusten, die sich mit der Auflösung ihrer an soziale und geographische Orte („Bastionen“, wie es von Brauns stalinistischem Unterbewußten entfährt) gebundenen Identität vollzögen. Als Linksliberale weiß sie diese doppelte seelische Entortung aber gegen „populistischen“ Widerstand milieutypisch zu immunisieren: Angst vor Mobilität zeuge auch stets von Antisemitismus, als Angst vor „‘dem Juden’“, der im „kollektiv Imaginären als „DER Wanderer unserer Zeit“ figuriere. Jede Gender- und Multikulti-Kritik ist damit automatisch „antisemitisch“ konnotiert. 

Gender und Migration als Waffen des Klassenkampfs

Um ihr krudes Weltbild abzurunden, behauptet von Braun, ihre Ideologie versetze mehr noch als die Massen die Mächtigen in Angst. Im krassen Gegensatz zu Guido Giacomo Preparatas Kritik an der die „Normalität des Homogenen“ zwar unterminierenden, aber damit in Wahrheit Herrschaftsstabilität sichernden „Ideologie der Tyrannei“ des Diversitäts-Gurus Michel Foucault (JF 48/15), ist von Braun nämlich davon überzeugt, Gender und Migration seien nicht Waffen des Klassenkampfs von oben, sondern von unten. So daß vor diesen ach so subversiven Wissenschaften „jene Menschen, die in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft das Sagen haben“, die allergrößte Angst hätten – die Angst vor dem Machtverlust. 

Die zumindest in den USA Superreiche tatsächlich nicht die Bohne quält, seit in den 1990ern die Demokratische Partei Bill Clintons parallel zu ihrem Werk der Deregulierung der Finanzmärkte von der dabei nur lästigen traditionellen Sozialpolitik zur Spielwiese von Gender & Diversity wechselte. Statt mit Gesellschaftsanalyse, Kapitalismus- und Entfremdungskritik befassen sich US-Studenten seitdem lieber mit Geschlechteroptionen. Und ihre vom Typ Christina von Braun in solche Verblendungszusammenhänge gelockten deutschen Kommilitonen eifern ihnen besinnungslos nach. 

Ebenso wie seine Berliner Kollegin, gesteht der Erfurter Politologe Kai Hafez, dessen Agitation zum Thema „Rassismus“ in keinem deutschen Leitmedium, die öffentlich-rechtlichen ARD und ZDF vorneweg, fehlen darf, die ordinär politische Dimension dessen zu, was er unter Wissenschaft versteht. Für ihn ist jede Ablehnung einer Masseneinwanderung schon gleichbedeutend mit „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“, vornehmlich in Form von „Islamfeindlichkeit“. 

Die „einseitig negativ geprägte Islam-agenda“ habe sich leider im Schlepptau der Thesen Thilo Sarrazins, wie der im eigentlich Sinne orientalistisch unbeleckte Hafez phantasiert, in „seinen“ Medien etabliert. Diese hat der auch als DFG-Gutachter tätige Aktivist Hafez in einem von der DFG geförderten Projekt „untersucht“, obwohl Sarrazin ohnehin von der „Fachwissenschaft sofort und konsequent widerlegt“ worden sei. Auf die große Etablierung der bösen Thesen schließt der analytisch verblüffend sparsame Wissenschaftler messerscharf aufgrund seiner im Fernsehsessel betriebenen Feldforschung, denn 2016 zählte er mehr als 50 Talkshows über zumeist muslimische „Flüchtlinge, die seit 2015 vermehrt ins Land kamen“, aber keine einzige über den Abgasskandal. Wenn das nicht Islamfeindschaft „hoffähig“ mache, was sonst? Dabei seien die Medien doch „Bildungsinstitutionen“ mit Erziehungsauftrag, die in Kooperation mit Wissenschaft („Rassismusforschung“) und Politik den „Populismus bekämpfen“, „Vorurteile gegen den Islam“ abbauen und als „Aufklärung 2.0“ die „tiefe Internationalisierung des Bewußtseins“ der verstockten Deutschen vorantreiben sollen, belehrt Hafez.

Die Zuwanderungswilligen muß Europa alle aufnehmen

Bei derart viel offen bekundeter Haltung hatte die DUZ-Redaktion dann keine Skrupel mehr, auch Matthias Hoesch, den Philosophen und „Migrationsethiker“ aus Münster, um eine Kostprobe seiner Wissenschaft zu bitten. Der verkündet aus seinem auf die Fließbandproduktion von „Gerechtigkeitsprinzipien“ spezialisierten Reinraum eine goldene Regel für Europas Migrationspolitik: „Wir Europäer müssen alle Zuwanderungswilligen aufnehmen, die in ihrem Herkunftsland ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können.“ Also die Heerscharen der Asylforderer, Klima- und Armutsflüchtlinge, der Schützlinge des UN-Resettlement-Programms. Alle eben, derzeit 68,5 Millionen Aspiranten, die im engeren Sinn als Flüchtling gelten. Mindestens 300.000 davon sollen jährlich nach Deutschland kommen. Was sich in solchen Phantasmagorien austobt, ist nicht Freiheit der Wissenschaft, sondern die wohldotierte, systemfromme Narrenfreiheit des „Kriechertums“ (Stefan Plaggenborg) von Staats- und Regierungswissenschaftlern.