© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Frisch gepresst

Arme und Reiche. In Oswald Spenglers Manier greift der in Stanford lehrende österreichische Althistoriker Walter Scheidel auf die Weltgeschichte zu. Nur ist sein Universalschlüssel leichter zu handhaben als dessen Morphologie der Kulturkreise. Denn der zuerst mit Studien zur antiken Wirtschafts- und Bevölkerungsgeschichte auf den Plan getretene Scheidel bringt die Welthistorie als „Geschichte der Ungleichheit“  fast wie Karl Marx auf den einfachen Nenner des Klassenkampfes zwischen vielen, vielen Armen und wenigen Reichen. Der Graben ist lediglich für jeweils kurze Zeit dann schmaler geworden, wenn „vier traditionelle Gleichmacher“  – Krieg, Revolution, Wirtschaftskollaps, Pandemie – am Werk waren. Das war zuletzt zwischen 1914 und 1975 der Fall, in der Zeit der Weltkriege, der im Oktober 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise und der die kapitalistische Expansion hemmenden Blockkonfrontation des Kalten Krieges. Danach trat der globalisierte Finanzkapitalismus seinen Siegeszug an und entfaltete seine gewaltige „entegalisierende Kraft“. Da aber niemand die Rückkehr der vier Reiter der apokalyptischen Nivellierung wünschen könne, werde das 21. Jahrhundert wohl als Ära „stabiler Ungleichheit“ in die Annalen eingehen. Zumal die historisch beispiellose Masseneinwanderung in Europas Sozialsysteme jeden Ansatz zu „friedlicher Nivellierung“  zunichte mache. (wm)

Walter Scheidel: Nach dem Krieg sind alle gleich. Eine Geschichte der Ungleichheit. wbg Theiss, Darmstadt 2019, gebunden, 687 Seiten, Abbildungen, 38 Euro





Kunst & Luftschutz. Bereits in den dreißiger Jahren gab es Luftschutz-Planungen für die Kunstschätze der Berliner Museumsinsel. Das galt ebenso für alte Meister wie auch für modernere Gemälde, die den NS-Machthabern als „entartet“ nicht mehr ausstellungswürdig erschienen. Der Kunsthistoriker  zeichnet kenntnisreich die verschiedenen Wege ihrer Sicherung nach. Schwierig wird es aber, den Verbleib der Kunstschätze, die in Berliner Flakbunkern wie in thüringischen Kalibergwerken die spätestens 1943 einsetzenden Bombardements überdauerten, nach der Kapitulation 1945 nachzuverfolgen, da sich offizielle wie private alliierte Kunstliebhaber reichlich bedienten. So gilt Franz Marcs expressionistisches Meisterwerk „Der Turm der blauen Pferde“ seitdem als verschollen. (bä)

Die Nationalgelarie Berlin im Luftkrieg 1939–1945. Schutz und Bergung moderner Kunst auf der Museumsinsel. Neuhaus Verlag, Berlin 2019, broschiert, 46 Seiten, 18,90 Euro