© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Ähre geschützt vom Ackerbaum
Eine alte Acker-Kultur, die Forst und Feld zu beider Vorteil verbindet, wird neu entdeckt
Paul Leonhard

Eine etwas andere als die in Deutschland übliche Landwirtschaft bekommt der Spaziergänger bald im Löwenberger Land im Landkreis Oberhavel in Brandenburg zu sehen. „Auf einer Fläche von 10,5 Hektar werden hier Baumreihen in einem Abstand von 38 Metern gepflanzt, so daß es den Landwirten möglich ist, die Flächen zwischen den Bäumen mit Nutzpflanzen zu bestellen“, wirbt die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) für ihr Forschungs- und Modellprojekt namens „Ackerbaum“. Insgesamt umfaßt die Versuchsfläche rund 30 Hektar, davon je ein Drittel des neuartigen Agroforsts, eine Nullfläche (Pflanzungen, die nicht behandelt werden) und eine Kurz­umtriebsplantage (heute übliche Pflanzungen mit schnell wachsenden Bäumen zur Holzgewinnung).

Die Agroforstwirtschaft gehört mit den Energiewäldern aktuell zu den am meisten diskutierten Nachhaltigkeits-projekten für deutsche Bauern. Dabei handelt es sich um zwei Formen der Landnutzung, bei der mehrjährige Holzpflanzen wie Bäume und Sträucher auf derselben Fläche gepflanzt werden, auf der auch landwirtschaftliche Nutzpflanzen angebaut oder Tiere gehalten werden.

Bäume schützen die Felder vor Erosion

Statt bis zum Horizont monoton Raps oder Weizen anzubauen, unterbrechen hier Baumreihen die Gleichförmigkeit. Das sieht gut aus, fördert die Artenvielfalt und bringt mehr Ertrag. Vor allem aber schützt es den Boden vor Erosion durch Wind und Wasser.

Neu ist die Idee nicht, auf den Äckern auch Früchte und Holz liefernde Bäume zu pflanzen, aber im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft, die mit Maschinen immer größere Flächen bewirtschaftete, ist sie weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Hochstamm-Kirschen in Franken, die Hochhecken in Niedersachsen oder die Hochäcker im Kanton Thurgau erinnern noch an die alte Kombination von Bäumen mit Acker.

In Deutschland seien Formen des Agroforsts historisch eher bekannt als Streuobstwiesen, verbunden mit Viehhaltung, sagt Professor Tobias Cremer von der HNEE: „Die Erzeugung von Werthölzern stand hierbei nie im Vordergrund, ebensowenig wie der Anbau von Feldfrüchten.“

Unterschieden wird zwischen traditionellen Agroforstsystemen mit Hochstammobstgärten, Waldweiden und Kastanienselven (Selve leitet sich von lateinisch „silva“ für „Wald“ ab) und modernen, wo das Pflanzen der Bäume sich der Produktionstechnik anpaßt, so daß weiterhin mit großen Maschinen geerntet werden kann.

Deutschlandweit testen  18 Akteure die Methode

Bei der modernen Agroforstwirtschaft werden die Bäume nach 30 bis 60 Jahren geerntet. Für Kurzumtriebsplantagen oder Energiewälder wird dagegen die gesamte Fläche mit Gehölzen besetzt, die nach drei bis fünf Jahren „abgemäht“ werden. Die Definitionen sind allerdings nicht sehr starr, wie ein Blick auf eine Deutschlandkarte zeigt.

Hier werden sowohl der Anbau von Energie- und Wertholz verbunden mit Acker oder Weidetieren beziehungsweise Geflügel als Agroforst gewertet.

18 Agroforst-Akteure, Beratungsstellen oder wissenschaftliche Einrichtungen, die sich vor allem in der Lausitz konzentrieren, haben mittlerweile 19 Standorte eigerichtet. Der nördlichste befindet sich in Schönwalde (Schleswig-Holstein), der südlichste in Breisach (Baden-Württemberg). Vier weitere Standorte sind geplant.

Das erste moderne Agroforstsystem haben vor 30 Jahren Wissenschaftler der Universität Leeds entwickelt. Im langjährigen Mittel von Versuchsanlagen wurden hier 30 Prozent mehr Erträge als bei getrennten Wald- und Ackerflächen erzielt. Ein Hektar „Baumgetreide“ warf so viel ab wie normalerweise 1,3 Hektar getrennte Parzellen (0,9 Hektar Weizen plus 0,4 Hektar Pappeln), rechnen Experten vor.

Soll das Agroforstsystem produktiver als die Monokultur sein, muß man allerdings „die Systempartner Wasser, Licht und Nährstoffe räumlich und zeitlich unterschiedlich nutzen“. Das ist das Ergebnis des EU-Agroforst-Forschungsprojektes SAFE (Silvoarable Agroforestry For Europe). Die Wirtschaftslichkeit sinkt zwar nach Berechnungen durch fehlenden Holzertrag in den ersten 15 Jahren um bis zu fünf Prozent. Aber auf lange Zeit werde dies mehr als wettgemacht, heißt es in der SAFE-Studie.

Auf der Habenseite der Landwirte stehen auch eine bessere flächenbezogene Energiebilanz und Nährstoffnutzungseffizienz, höhere Ertragsstabilität durch das verbesserte Mikroklima, ein größerer Schutz der Ackerkulturen gegen Witterungsunbilden (negative Auswirkungen des Wetters), der seltenere Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln und eine bessere saisonale Arbeitsauslastung. Zusätzlich wird durch die stärker geschlossenen Nährstoffkreisläufe und Humus-Anreicherung die Bodenfruchtbarkeit erhöht.

Feldpflanzen zwingen  Bäume, tiefer zu wurzeln

Durch eine Landwirtschaft „auf mehreren Etagen“, so David Pilbeam von der Universität Leeds, werden Wasser, Licht und Nährstoffe viel effizienter genutzt und die Photosyntheseleistung der untersuchten Parzelle erheblich gesteigert: Der Wettkampf mit der Kultur zwingt den Baum auf natürliche Weise tiefer zu wurzeln, weil die Ackerkulturen die Wasser- und Nährstoffvorräte im Oberboden bereits vor dem Blattaustrieb verbrauchen. Die Baumwurzeln bilden so unterhalb des Ackerfruchtwurzelraumes eine Art „Auffangnetz für Ressourcen“.

Auch Umwelt- und Naturschutz profitieren vom Agroforstsystem: Gehölze und Saumbereiche stellen für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten einen wertvollen Lebensraum dar. Insbesondere für Niederwild wie Fuchs, Hase und Vögel entstehen Rückzugsgebiete.

„Agroforstwirtschaft ist nachhaltig, profitabel, multifunktional, vielfältig, landschaftsästhetisch wertvoll und fördert regionale Wertschöpfungspfade, somit ist diese Form der Landnutzung als ein Agrarsystem der Zukunft anzusehen“, schreibt der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF). Einziger Schönheitsfehler: Der Fachverband soll erst am 10./11. Oktober in Freising-Weihenstephan während des 7. Forums Agroforstsysteme gegründet werden.

 https://agroforst-info.de/

 https://www.hnee.de/