© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Angesagte Provinz
Lust auf Land: Brandenburg ist Zufluchtsort für Linke und Konservative gleichermaßen
Gil Barkei

In Berlin kann man so viel erleben, in Brandenburg soll es wieder Wölfe geben“, sang 2005 der Kabarettist Rainald Grebe und verpaßte dem Bundesland damit das Stigma der abgelegenen Einöde, in der junge Menschen nichts anderes zu tun hätten, als „voll in die Allee“ zu gurken, und in dem Durchreisende sich „Essen einpacken“ müßten. 

Fast 15 Jahre später wandelt sich dieses Bild im Eiltempo. Brandenburg und das Leben auf dem vermeintlich langweiligen Land sind „in“. Das Havelland zum Beispiel gehört zu den am stärksten wachsenden Regionen in dem Bundesland. Bis 2030 wird ein Bevölkerungswachstum von etwa sechs Prozent prognostiziert. Viele Familien können sich die Großstadtmieten und Kaufpreise in der mit Loft- und Investitionsobjekten verseuchten Hauptstadt nicht mehr leisten. Andere wollen die Nebenwirkungen des bunten Metropole-von-Weltrang-Werdens zwischen Kriminalität und Vermüllung nicht länger ertragen. Brandenburg hat sich zum Zufluchtsort gewandelt, zum Inbegriff des „Draußen im Grünen“. 

Die Region profitiert zudem von dem deutschlandweiten Trend der temporären „Stadtflucht“, die sich in erfolgreichen Youtube-Kanälen wie „Kliemannsland“, Magazinen wie Aufs Land oder dem „Landvergnügen“-Netzwerk widerspiegelt, eine Art bäuerliches AirBnB für Camper-Stellplätze. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Empirica müßten bundesweit rund 151.000 Eigenheime in der Provinz gebaut werden, um der Nachfrage gerecht zu werden.

Auf einige Intellektuelle und Künstler, die bereits in den neunziger und nuller Jahren die Uckermark teilweise in eine kleine Freiluftgalerie mit Autorenvorgärten verwandelten, folgt nun die Gastroszene des „Eßt lokal!“-Hypes. Öko-Höfe und örtliche Produzenten wie die Fischräucherei „Glut & Späne“ oder Blogs wie „Milch & Moos“ verbinden gekonnt urbane Social-Media-Kultur mit der Sehnsucht nach Natur, Ruhe und Nachhaltigkeit. Angebote wie „Waldbaden“, Radtouren („We cycle Brandenburg“) oder neuartige Hotelkonzepte zwischen Holzhütten („Black Cabin“ im Oderbruch), preisgekrönten Designhotels („Das schwarze Haus“) und alten Zugwaggons (im Hafen Groß Neuendorf) beleben die altbekannte Landpartie und ziehen „kreuzköllner“ Hipster, aber auch Urberliner an. 

Die Tourismusbüros der Landstriche sind neben Online-Magazinen und unzähligen Hobbyfotografen, die von der Schönheit der Mark fasziniert sind, auf allen sozialen Kanälen aktiv. Längst bringen die großen Berliner Stadtmagazine Tip und Zitty Sonderhefte heraus, die nicht nur den Speckgürtel betrachten. Die „braune No-go-Area“ Brandenburg taugt nur noch in verstaubten linken Redaktionsstuben zur Wahrheit. Bücher wie „Take me to the Lake“, die auf deutsch und englisch zu haben sind, machen auch ausländischen Neuberlinern Lust auf einen Ausflug. Brandenburg ist Sehnsuchtsland von Linken und Konservativen gleichermaßen. 

Die neue Beliebtheit hat allerdings Folgen. Überall, wo eine Regionalbahn in Richtung Berlin hält, schießen Neubausiedlungen mit Reihen- und Einfamilienhäusern aus dem Boden. Ganze Viertel entstehen, wie um die verfallenen Beelitzer Heilstätten im Süden oder auf alten Kasernengeländen bei Bernau im Norden der Hauptstadt. Auch das ehemalige Olympische Dorf der Spiele 1936 in Elstal wird umgebaut. 2020 sollen die ersten neuen Bewohner des „G.O.L.D.“-Projektes einziehen und die Yoga- und Thai-Chi-Wiesen testen können. 

Besonders beliebt sind Wassergrundstücke

Die anziehenden Grundstückspreise haben Konsequenzen für manche alteingesessene Märker. In einigen Online-Immobilienanzeigen wird der Verkauf eines Hauses an die Bedingung geknüpft, dem Verkäufer ein lebenslanges Wohnrecht in einem Teil des Objekts einzuräumen. Einzelne Verkäufer verlangen zusätzlich die Zahlung einer monatlichen Summe – quasi eine Rentenaufstockung und der Versuch, den Lebensabend in „seinem“ Haus verbringen zu können. 

Besonders beliebt sind die Wassergrundstücke an den zahlreichen Seen und Flüssen. So wie am Pätzer See, wo neue Eigentumswohnungen auf ihre Erstbesitzer warten. Schloß Petzow am Schwielowsee wurde bereits zu einer Apartmentanlage umgebaut. Bei einigen Brandenburgern wächst jedoch die Skepsis gegenüber den Neuankömmlingen: „Allein fünf neue Dorfbewohner aus Berlin“, zieht ein Anwohner am Schwielochsee Bilanz. Auf der einen Seite bringen die neuen Nachbarn Leben in die „ausgebluteten“ Regionen, renovieren teils stark in Mitleidenschaft gezogene Häuser und Höfe. 

Anderseits steigt neben den Immobilienpreisen der Druck auf die Landschaftsgestaltung. Einige Hausbesitzer wollen ähnlich wie am Potsdamer Griebnitzsee ihre Privatgrundstücke direkt ans Wasser legen. Bürgerproteste fordern ein frei zugängliches Ufer: damit jeder die Vorzüge Brandenburgs entdecken kann.