© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/19 / 19. Juli / 26. Juli 2019

Der Flaneur
Auf den Hund gekommen
Paul Leonhard

Ein Mann taucht auf. Er trägt eine Daunenjacke, was ich um die Jahreszeit seltsam finde, führt einen kleinen Hund an der Leine und pfeift fröhlich vor sich hin. Ein zweiter, etwas kleinerer, folgt ihm. Es handelt sich um Osteuropäer. Ich höre es an den Sätzen, die der zweite dem anderen zuruft. 

Während ich das Café am Markt ansteuere, wo ich mit Freunden verabredet bin, streben die beiden ihren Arbeitsplätzen zu. Auf dem Weg nicken sie einer dicken Kollegin zu, die es sich auf dem Boden neben dem Eingang zum Warenhaus gemütlich gemacht hat, jeden Eintretenden begrüßt und ihm einen Plastebecher entgegenhält: „Bittäää!“

In dem Becher des sich niedergelassenen Bettlers klingelt es bereits.

Am Stammtisch im Café sitzen nicht nur der ehemalige Chefredakteur und ein polnischer Journalist, sondern überraschend auch der Küchenchef eines Nobelrestaurants. Daß es sich um den ehemaligen handelt, erfahre ich aus dem laufenden Gespräch. Er sei nicht entlassen, sondern freigestellt, betont er. Die Anwälte seien eingeschaltet.

Aus dem großen Fenster sehe ich, daß die beiden Männer sich strategisch günstig nahe den Blumenrabatten plaziert haben. Hier kommen alle vorbei. Während ich meinen Kaffee serviert bekomme, klimpert es im Becher des einen Mannes bereits zum zweiten Mal. Ich kann es nicht hören, aber sehen. Das niedliche Hündchen scheint eine prima Geschäftsidee zu sein.

Der weißhaarige Ex-Redakteur erzählt von glorreichen Zeiten, als Augstein noch das Magazin leitete und sich nicht nur die Eigentümer, sondern auch die Mitarbeiter goldene Nasen verdienten. Der Küchenchef berichtet, wie sein Chef das Personal ausbeutet. „Mach dich doch selbständig“, sage ich und zeige grinsend nach draußen, wo sich aus einer Gruppe junger Mädchen gerade zwei lösen, um kichernd den Hund des Bettlers zu streicheln. Dann kramen sie in ihren Handtaschen. Sein Kumpan auf der anderen Platzseite vertritt sich die Beine.