© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Schäuble rief – und fast alle kamen
Christian Vollradt

Eigentlich ist es nichts besonderes, daß die Abgeordneten des Bundestages aus der Sommerpause zurück nach Berlin gerufen werden. Sondersitzung. Im August vergangenen Jahres etwa betraf es die Mitglieder des Haushaltsausschusses; da ging es um eine weitere Tranche in der Euro-Rettung, und Finanzminister Olaf Scholz wollte auf Nummer sicher gehen.

Doch am vergangenen Mittwoch war das schon ein bißchen anders, eine besondere Sondersitzung sozusagen. Anwesenheitspflicht für alle 709 MdB, wer fehlte, muß zahlen (200 Euro für unentschuldigtes Fehlen, 100 für entschuldigtes). Nur zwei Punkte umfaßte die Tagesordnung: 1. Eidesleistung der Bundesministerin der Ver­teidigung Annegret Kramp-Karrenbauer (Dauer etwa 90 Sekunden) und 2. Regierungserklärung durch die Bundesministerin der Verteidigung samt Aussprache (Dauer knapp eineinhalb Stunden). 

Und dann der Tagungsort: Im langgestreckten Foyer des Paul-Löbe-Hause mit seinen sechs Geschossen war eine Art Plenum errichtet worden. Blockweise nebeneinander die sonst im Halbrund angeordneten Stuhlreihen, ihnen gegenüber ebenso provisorisch ein Präsidium, Rednerpult sowie die Regierungs- und die Bundesratsbank. Von den freiliegenden Gängen darüber hatte man wie bei Großveranstaltungen Traversen für Scheinwerfer und Monitore angebracht. Grund für den ganzen Aufwand: Der Plenarsaal im Reichstag ist zur Zeit Baustelle, Stühle und Pulte fehlen. Der Brandschutz muß erneuert werden, eine Induktionsschleife soll die Akustik für Hörgeschädigte verbessern, außerdem braucht es einen neuen Teppichboden. Gut 400.000 Euro soll das Ganze kosten und pünktlich zur ersten regulären Sitzung im September fertiggestellt sein. Aufgrund des ambitionierten Zeitplans schied die Alternative aus, den regulären Plenarsaal für die Sondersitzung vorübergehend wieder nutzbar zu machen.

Bereits im Vorfeld hatte es Kritik gegeben. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete die Zusammenkunft als überflüssig, die Vereidigung hätte bis zu einer regulären Sitzung nach der Sommerpause Zeit gehabt, da Kramp-Karrenbauer seit ihrer Ernennung im Amt und voll handlungsfähig sei, so Lindner. Ebenso äußerte sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann. „Steuergeldverschwendung“ – so sahen es auch zahlreiche Parlamentarier der AfD. Doch nicht alle. Ihr verteidigungspolitischer Sprecher Rüdiger Lucassen verwies auf die Rolle der Ministerin als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, sie brauche die Sanktionierung des Parlaments. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) betonte ebenfalls: „Ein Minister muß eben beim Amtsantritt seinen Eid vor dem Bundestag ableisten.“ 

Einen kleinen Seitenhieb konnte sich der Altgediente indes angesichts der Platzverhältnisse zu seinen Füßen nicht verkneifen. „Als Paul Löbe Alterspräsident des ersten Bundestages war, hatte unser Parlament noch 410 Abgeordnete.“ Dies sei „mit Blick auf die immer dringlichere Wahlrechtsreform an diesem Ort eine Erwähnung wert“. Die Mahnung wurde mit Beifall quittiert.