© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

„Glauben Sie an unser Brasilien“
Interview: Der Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei PSL über Bolsonaros Politik und den Westen
Wolfgang Bendel

Herr Sérgio Olímpio Gomes, im Ausland, vor allem in Deutschland, kam der Wahlsieg Bolsonaros und seiner Partei völlig überraschend. Das große Erstaunen war Resultat einer sehr einseitigen Berichterstattung über die politischen Vorgänge in Brasilien und den Verlauf der Wahlkampagne um die Präsidentschaft. Warum, glauben Sie, haben die deutschen Medien bis heute kaum ein Interesse, sachlich über die Situation in Ihrem Land zu informieren?

Sérgio Olímpio Gomes: Das, was Sie soeben sagten, gilt nicht nur für Deutschland, sondern weitgehend für ganz Europa. Der Sieg von Jair Bolsonaro und unserer politischen Gruppe war ideologisch betrachtet ein Aufschwung der Rechten. Diese Wendung nach rechts war weder in Europa noch in einem großen Teil der Welt erwartet worden, am wenigsten hier in Brasilien. Es existierte die Erwartung, daß sich die PT (Partido dos Trabalhadores – Arbeiterpartei) 50 Jahre an der Macht halten würde. Alles, was die Linke ideologisch anzustreben vorgab, also den Kampf gegen Korruption, die Verteilung von Einkommen und Arbeit, all das endete im Sumpf genau dieser Korruption. Bolsonaro machte sich zunächst dadurch bemerkbar, indem er als erstes und im Alleingang die Fahne der Rechten hißte, zweitens das Thema Sicherheit und drittens den Kampf gegen die Korruption ansprach. 

Wie konnte er sich letztlich durchsetzen?

Olímpio: Ohne politische Verbündete mobilisierte er zunächst die sozialen Netzwerke. Da er über keine Parteistrukturen verfügte, in den Städten und den Bundesstaaten nicht verankert war, wurde er das Opfer von Witzeleien und nicht ernst genommen. Die politische Klasse war aber durch zahlreiche Korruptionsaffären bei der Bevölkerung in ein miserables Licht geraten. In diesem Moment war es Bolsonaro, der die Fahne schwang und damit den Nerv der brasilianischen Bevölkerung traf. Reorganisation des brasilianischen Staates und Kampf der Korruption waren seine Parolen. Im zweiten Wahlgang wurde er dann gewählt und mit ihm 52 Abgeordnete, jetzt sind es 54, seiner Partei. Hinzu kommen vier Senatoren. Dies nahezu ohne Werbezeit im Fernsehen und ohne finanzielle Mittel, da wir uns weigerten, öffentliche Mittel zu benutzen. Ich selber hatte nur sieben Sekunden Zeit, um eine Nachricht über das Fernsehen zu verbreiten. Das reichte kaum aus, um meinen Namen zu nennen.

Während des G20-Gipfels in Japan gab es zwischen Jair Bolsonaro und Angela Merkel einen Disput wegen der Umweltpolitik Brasiliens. Ihr Kommentar? 

Olímpio: Bolsonaro ist ein Militär, aber er wurde demokratisch gewählt. Von der Errichtung einer Militärregierung kann also keine Rede sein. Organisationen, die die Menschenrechte oder die Umwelt verteidigen, verbreiten eine falsche Propaganda, als ob wir die Menschenrechte – wir bevorzugen die Formulierung „Rechte gesetzestreuer Menschen“ – nicht achten würden. Bezüglich unserer Umweltpolitik geschah dies auf dem G20- Gipfel durch die Aussagen von Angela Merkel. Die Gegenpropaganda ist sehr stark. Wir kamen zum G20-Gipfel und stießen bei Merkel und Macron auf Widerstand. Bolsonaro sagte dort, wir stehen in keinerlei Widerspruch zu ihren Zielen, was wirtschaftliche Zusammenarbeit, Nachhaltigkeit – gerade  bezüglich des Regenwaldes – oder das Wirtschaftswachstum betrifft. 

Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen konservativen und rechten Parteien in Deutschland und Brasilien?

Olímpio: Es gibt noch wenig Kontakte. Niemand dachte, daß dies alles in Brasilien passieren werde. Es stärkte rechte und konservative Aktivisten, die sich nicht getraut hatten, sich dazu zu bekennen, daß sie Rechte und Konservative sind: „Ich bin konservativ bei den Prinzipien, liberal in Wirtschaftsfragen.“ Es gilt nicht mehr als böse, konservativ zu sein, sein Vaterland zu lieben. 

Welche Ziele verfolgt Bolsonaro?

Olímpio: Präsident Bolsonaro will, daß sich die Dinge hier grundsätzlich ändern. Wenn in Deutschland in einer Fabrikhalle ein Schild „Fotografieren verboten“ angebracht ist, halten sich die Menschen daran. In Brasilien muß man einen Sicherheitsbeamten einstellen, um das Verbot zu überwachen. Wir müssen mit der Unart des „Jeitinho“ (Anm. d. Red.: tricksen, austricksen) Schluß machen. Aber der Widerstand ist riesengroß. Als Konsequenz der Korruptionsaffäre um die staatliche Erdölgesellschaft Petrobras mußten dort 260.000 Mitarbeiter entlassen werden. Beim Mischkonzern OAS waren es 90.000. Wir übernahmen ein strukturloses Land mit 14 Millionen Arbeitslosen. Durch den sozialistischen Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff waren wir  hier auf dem Weg zu einer Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Lateinamerikas. Es wurden gigantische Projekte in Kuba und Venezuela finanziert. Ergo besteht eine riesige Angst in gewissen Kreisen, daß die Regierung Bolsonaro ihren Auftrag erfüllen und das Land vorwärts bringen wird.

Welche Botschaft haben Sie an die Deutschen?

Olímpio: Glauben Sie an unser Brasilien! Investieren Sie hier! Brasilien und die Brasilianer bieten so viele Möglichkeiten.                  





Sérgio Olímpio Gomes

Sérgio Olímpio Gomes, bekannt als Major Olímpio, ist Fraktionsvorsitzender der PSL (Partido Social Liberal – Sozialliberale Partei) im brasilianischen Senat. Die PSL ist die Partei von Präsident Jair Bolsonaro. Olímpio begann seine berufliche Karriere bei der Militärpolizei, ist aber schon lange in verschiedenen politischen Bereichen aktiv. So war er sowohl Landtagsabgeordneter als auch Deputierter im Bundesparlament. Seit 2019 ist er Senator für São Paulo, wo er mit der Rekordzahl von über neun Millionen Stimmen gewählt wurde. Obwohl in Deutschland und Europa weitgehend unbekannt, gehört Olímpio zu den einflußreichsten und wichtigsten Persönlichkeiten aus dem Führungszirkel des Präsidenten. Die Aussagen des Interviews, das wir mit ihm Anfang Juli in den Räumen des brasilianischen Senats führen konnten und das hier auszugsweise wiedergegeben wird, sind daher als repräsentativ für die politischen Positionen der aktuellen brasilianischen Regierung zu betrachten.

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