© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Grüße aus Danzig
Etwas unbefangener
Claus-M. Wolfschlag

Wir sitzen in einem schicken Danziger Restaurant. In Krakau sei sie schon gewesen, berichtet meine Cousine: „Aber dort sind mir die Leute freundlicher in Erinnerung als hier.“ Ich liefere eine These: „Bis zum Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, dem endgültigen deutschen Verzicht auf die ehemaligen Ostgebiete, lebten die hiesigen Polen mit der Sorge, vielleicht eines Tages ihre Häuser für wiederkehrende Deutsche räumen zu müssen. Anders als in Kernpolen. Das fußte auf einer starken Überschätzung der Deutschen, aber tiefenpsychologisch mag sich das teils eingebrannt haben.“

Doch die Zeiten ändern sich. Ein etwas unbefangenerer Umgang mit dem deutschen Erbe greift sichtbar um sich. Die Zugfahrt führt nach Ostpreußen, vorbei an Feldern mit Störchen und Kranichen. Am Bahnhof Ketrzyn angekommen, die erste Überraschung. Der deutsche Name „Rastenburg“ prangt wie selbstverständlich auf der frischrenovierten Fassade über dem Stationsschild. „Königsberg 102,8 km“ ist daneben zu lesen.

Wenige deutsche Grabsteine stehen trotzig auf dem verwüsteten Friedhof.

Beim Gang durch die gepflegte Kreisstadt frage ich auf englisch eine Einheimische mittleren Alters nach dem Weg. Sie antwortet mir auf deutsch. Vor einem großen Gotteshaus kann man neben polnisch auch in deutsch lesen: „Wir laden ein. Ausstellung Geschichte der S. Georgskirche“. Vermutlich ein Eigentümer hat den Sockelstein seines Hauses nicht verschämt überputzt, sondern sogar noch farblich hervorgehoben: „G. Pohl 1876“ ist dort nun in Rosé zu sehen.

Tadeusz bringt mich über Hügel und Kurven zum Dorf der Eltern und Großeltern. Seine Familie stammt aus Wilna im heutigen Litauen. Wegen seiner kleinen Rente muß er sich nun als Taxifahrer verdingen. „Familie ... Sentyment ...“, sagt er immer wieder, und es bleibt ein wenig offen, ob er über sich oder mich spricht. Mein Zieldorf sei noch schrecklich verfallen, deutet er an. Womöglich der alte Fluch böser Taten, denke ich. 

Dort an der Ordenskirche treffe ich meine Cousine mit Töchtern. Wenige deutsche Grabsteine stehen trotzig auf dem verwüsteten Friedhof, womöglich wiedererrichtet – von wem auch immer. 

Gemeinsam schlendern wir zum Haus der Familie. Alte Frauen ziehen sich ängstlich in ihre Häuser zurück. Ein junger Mann hingegen bleibt lässig am Gartenzaun lehnen. Ich deute auf das Haus: „My Grandmother.“ Er lacht freundlich: „Babcia.“