© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

EZB kündigt weitere Zinssenkungen an
Marx wäre entzückt
Thorsten Polleit

Wer gedacht hat, das Niedrig- und Nullzinsmartyrium würde bald dem Ende entgegengehen, sieht sich getäuscht. Die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet die Märkte vielmehr darauf vor, die Leitzinsen – der Hauptrefinanzierungszins liegt bei null Prozent, der Einlagenzins für Banken bei minus 0,4 Prozent – noch weiter abzusenken. Im September könnten beide Zinssätze noch weiter reduziert werden – und im Vorgriff dieser Maßnahmen sind die Renditen für deutsche Staatsanleihen nahezu allesamt in den Negativbereich abgetaucht.

Wie begründet die EZB diese Geldpolitik? Sie sagt offiziell: Das Wachstum im Euroraum sei schwach, die Inflation zu niedrig, und die Abwärtsrisiken für die Konjunktur stiegen an. Ein noch niedrigerer Zins könnte da Abhilfe schaffen. Doch tatsächlich reagiert die EZB auf die Botschaft einflußreicher Hauptstrom-Ökonomen, die ihnen einflüstern: Der „gleichgewichtige Zins“ im Euroraum sei negativ geworden und deshalb müsse man die Marktzinsen unter die Nullinie drücken. So ließen sich Produktion und Beschäftigung beleben. 

Ein Gedankengang, der den Euro-Politikeliten sehr gelegen kommt. Denn die Verschärfung der Negativzinspolitik erlaubt es, die Schulden von strauchelnden Banken und Staaten zu entwerten: Fällige Kredite können dann schließlich durch neue Kredite, die mit einem Null- oder Negativzins ausgestattet sind, ersetzt werden. Der Betrogene ist der Sparer, der seine Altersversorge auf Euro-Schuldpapieren aufbaut. Sein Kapitalstock wird unter dieser EZB-Politik entwertet, um überschuldeten Staaten und Banken den Offenbarungseid zu ersparen. 

Opfer dieser Politik ist ein Heer von Menschen, das keine ausreichende Altersorge haben wird; und als Empfänger staatlicher Almosen wird es leichte Beute für die Verheißungen sozialistischer Politiken. Doch damit nicht genug. Ohne einen positiven Marktzins kommt auch die arbeitsteilige Volkswirtschaft unter die Räder. Sparen und Investieren lohnen weniger. Die Gemeinschaft lebt sprichwörtlich von der Substanz, Kapitalverzehr stellt sich ein: Der heutige Konsum wird zum Raubbau am künftigen Wohlstand. 

Karl Marx würde sich entzückt im Grab herumdrehen, wenn er sehen könnte, wie wirksam – und dabei noch von der Öffentlichkeit weitgehend unerkannt – die EZB die von ihm herbeigesehnten gesellschaftlichen Umwälzungen herbeiführt: Das, was von der freien Marktwirtschaft noch übrig ist, wird nach und nach zerstört, und der Weg in ein kollektivistisch-sozialistisches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell wird geebnet. Die Politik, das Euro-Einheitsgeld um jeden Preis zu erhalten, wird zu einem wahren Alptraum – aus dem es vorerst wohl leider kein Erwachen geben wird.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.

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