© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Alles Müll, oder was?
Recycling: Aus weniger als 50 Prozent der Kunststoffabfälle werden neue Artikel hergestellt
Karsten Mark

Die Geschichte war wie gemacht für Armin Maiwald und seine beliebten Erklärfilme in der „Sendung mit der Maus“: Eine PET-Flasche hat als Behälter ausgedient, wird geschreddert und eingeschmolzen, zu Polyesterfasern und Synthetikstoff verarbeitet – und landet als Dienstkleidung der Saaldiener am Ende im Deutschen Bundestag. Genial! 2007 gab’s dafür einen Preis bei einem Umweltfilmfestival. 

Knapp zwölf Jahre später stimmt die Erzählung vom wertvollen Rohstoff – der auch nach China verkauft werden kann und dort sogar noch veredelt wird – nicht mehr. China droht mittlerweile im eigenen Plastikmüll zu versinken und hat Anfang 2018 die Schotten für Importe dichtgemacht. Für die Abfallwirtschaft bedeute das eine radikale Kehrtwende. Bekamen die Exporteure nach Auskunft des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) früher noch 70 bis 120 Euro für eine Tonne sortenreiner Folien, so fielen die Preise 2018 mit einem Schlag auf 20 bis 60 Euro. Unsortierte und gemischte Kunststoffabfälle, die China rigoros verbannt hat, kosten nun sogar.

Und selbst die letzte Option für Kunststoffabfälle, die Müllverbrennungsanlage, ist für die Entsorger teuer geworden. „Im Moment können die nehmen, was sie wollen“, sagte Ende 2018 ein nicht namentlich genannter Anlagenbetreiber im Gespräch mit dem Branchendienst Euwid (Europäischer Wirtschaftsdienst). Zu genauen Preisen schweigt die Abfallwirtschaft lieber. „Im Entsorgungsmarkt sieht man sich immer wieder. Wir wollen kein böses Blut“, zitiert Euwid den anonymen Insider. Immerhin eine Größenordnung nennt der Euwid: „Von einem Plus gegenüber dem Vorjahr von 20 bis 30 Euro ist die Rede, Preise von 180 Euro für eine Tonne heizwertreichen Abfall zur Verwertung (AzV) machen die Runde.“

Wie groß die Sorgen der Branche sind, zeigte sich auch beim 22. Internationalen Altkunststofftag, der im Juni in Bad Neuenahr stattfand. „Wir müssen Kunststoff und die Notwendigkeit seines Einsatzes wieder erklären“, sagte BVSE-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock. „Wir müssen Mißstände, die es gab und die es auch immer noch gibt, auf- und abarbeiten. Und wir müssen spür- und meßbare Fortschritte beim Kunststoffrecycling vorweisen.“ Der politische Gegenwind sei durch die fortwährenden Diskussionen über Kunststoffabfälle zu einem Sturm geworden, so Rehbock. Die Welt werde ohne Kunststoffe aber nicht auskommen, und deshalb gebe es nur eine Lösung: „Kunststoffrecycling, wann und wo immer es möglich ist!“

Nur bei Glas und Papier funktioniert die Verwertung

Die gewaltigen Engpässe im Entsorgungssystem offenbaren indes, daß die offiziellen Recyclingquoten mit der Realität nur wenig zu tun haben. Von knapp zwei Dritteln Wiederverwertung geht die Europäische Umweltagentur EEA beim deutschen Haushaltsmüll aus, das Bundesumweltministerium gar von über 80 Prozent bei Verpackungen. Diese Traumquoten kommen dadurch zustande, daß nur gezählt wird, wieviel Müll in die Recyclinganlagen hineingeht. Wieviel davon tatsächlich wiederverwertet werden kann, spielt für die Statistik hingegen keine Rolle. Auch alles, was am Ende in der Müllverbrennung landet, zählt somit als recycelt. In der Praxis beträgt dieser „Rest“ aber nicht selten knapp die Hälfte. In Großstädten besteht der Inhalt der Gelben Tonnen des Dualen Systems etwa zu 50 Prozent aus „Fehlwürfen“, also Müll, der dort eigentlich nicht hineingehört. 

Wirklich gut funktioniert die Wiederverwertung nur bei Glas und Papier, das separat gesammelt wird. Dort liegen die Recyclingquoten tatsächlich bei etwa 80 Prozent. Auch das „PET Cycle“-System für Einweg-Plastikflaschen funktioniert prinzipiell, weil es den Kunststoff einigermaßen sortenrein sammelt. Neue Flaschen entstehen daraus aber nur sehr selten. Denn Lebensmittelverpackungen stellen extrem hohe Anforderungen an die Reinheit eines Rezyklats, weshalb aus Altplastik meist nur Parkbänke oder Blumenkübel produziert werden. 

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung, ein Gremium, das die Bundesregierung berät, stellte bereits 2017 ernüchternd fest: „Der Anteil der stofflichen Verwertung von Plastikabfällen liegt bei etwa zwölf Prozent.“ Der Kreislauf sei bei vielen Abfällen „nur Fiktion“. Der Dresdner Umweltwissenschaftler Henning Friege stellte in einem Report für den Nachhaltigkeitsrat fest, die Rhetorik der Abfallwirtschaft erinnere angesichts der Fakten „an Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern“.

Franziska Gründel, Redakteurin des Fachmagazins Kunststoffe, kann der Krise in ihrer Branche durchaus auch etwas Positives abgewinnen. Die Themen Kreislaufwirtschaft und Recycling „erregen nicht nur die Gemüter, sondern beleben auch den Markt“, schreibt sie in der aktuellen Ausgabe. Große Poly­olefin-Hersteller wie Borealis, Sabic, BASF und Lyondellbasell hätten sich durch Firmenübernahmen Zugang zum bislang eher mittelständisch geprägten Recyclingmarkt verschafft und experimentierten wieder mit großtechnischen, chemischen Verfahren wie Pyrolyse, Vergasung und Verölung von Altkunststoff.

Dabei werden die Kunststoffe unter großer Hitze in ihre molekularen Bestandteile zerlegt, um sie anschließend zu neuen Polymeren zusammenzusetzen. Die Technik dazu ist altbekannt. Bereits in den 1980er Jahren gab es solche Anlagen. Sie liefen allerdings nicht lange, das energieaufwendige Verfahren rentierte sich nicht. Möglicherweise haben sich die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen nun geändert. Branchenkennerin Gründel erwartet eine „Renaissance des rohstofflichen Recyclings“. 





Batterie-Recycling

Einzelhändler, die Batterien oder Akkus verkaufen, müssen diese auch wieder kostenlos vom Endkunden zurücknehmen. Der Prozentsatz der Batterien, die jährlich in den Recyclingstellen gesammelt wurden, verglichen mit der Menge an Batterien, die verkauft wurden, ist gesunken. Die Sammelquote betrug 2016 noch 46,2 Prozent. 2017 aber nur noch 45,1 Prozent. Das Umweltbundesamt erklärt diese Verringerung vor allem mit einer starken Steigerung des Verkaufs neuer Batterien, auch in Geräten. Eingesammelt wurden etwa 21.000 Tonnen an Batterien. Der Großteil sind Blei-Säure-Akkus. Neu verkauft wurden über 44.500 Tonnen. Der stofflichen Verwertung wurden aber mehr Batterien zugeführt, als im Jahr 2017 gesammelt wurden: 23.800 Tonnen. Einge wurden also bereits im Vorjahr gesammelt. Die EU schreibt der Recyclingindustrie seit 2016 eine Mindestsammelquote bei Batterien und Akkus von 45 Prozent vor. Das Ziel wurde knapp erreicht. Die gesammelten Energieträger konnten im Schnitt zu über 80 Prozent in ihre Bestandteile zerlegt und wiederverwertet werden. (mp)