© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Wenn die Ehrfurcht schwindet
Kirchen sind keine Museen: Die Besichtigung von Gotteshäusern ist sowohl Herausforderung als auch Chance
Georg Alois Oblinger

Im Urlaub werden selbst Menschen, die eher religiös distanziert sind oder den christlichen Glauben ganz abgelegt haben, plötzlich zu Kirchgängern. Der Grund hierfür liegt darin, daß der christliche Glaube in Europa über Jahrhunderte hinweg kulturprägend war. Die Meisterwerke der Architektur, der Malerei und der Musik sind eben Zeugnisse des christlichen Glaubens. Wer nun im Urlaub irgendwo in Europa eine Stadtbesichtigung macht, dessen Weg führt zwangsläufig auch in die Kirche. Sollen sich nun Kirchenvertreter darüber freuen, daß ihre Gotteshäuser wieder von zahlreichen Menschen frequentiert werden, oder ist der Touristenstrom für die Kirche – sowohl für das Gebäude als auch für die Glaubensgemeinschaft – eher eine Belastung?

Als Mitte April in Paris die Kathedrale Notre-Dame brannte, hielt Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron eine Fernsehansprache, in der er von der kulturellen Bedeutung sprach und einen raschen Wiederaufbau zusicherte. In seiner Rede erwähnte er jedoch den christlichen Glauben mit keinem Wort, was den Pariser Erzbischof Michel Aupetit dazu veranlaßte, am nächsten Tag klarzustellen, daß es die katholischen Christen sind, die dieses Gebäude mit Leben füllen. „Diese Kathedrale wurde im Namen Christi gebaut. Sie ist kein Museum.“

Wie kann der sakrale Charakter der Kirche gewahrt bleiben, wenn Touristenströme drohen, sie zu einem Museum zu degradieren? Unpassendes Verhalten ist da nicht selten an der Tagesordnung: Ein vollbesetzter Bus hält vor der Kirche, alle steigen aus, laufen durch die Kirche und fotografieren in alle Richtungen; nach fünf bis zehn Minuten ist der ganze Spuk vorbei. Für viele ist es auch kein Hinderungsgrund, umherzugehen, wenn vorn gerade ein Gottesdienst stattfindet.

Shorts und Minirock sind nicht die passende Kleidung  

Auch die kühlen Temperaturen in der Kirche wirken im Sommer für viele anziehend. Gerne verbringen manche hier ihre Mittagspause. In bedeutenden Kirchen muß am Kirchenportal darauf hingewiesen werden, was hier nicht statthaft ist: essen, trinken, rauchen, Eis lutschen, Hunde mitnehmen. Schließlich verlangt auch das Kirchenrecht, von der Kirche fernzuhalten, „was mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar ist“ (CIC, Can. 1220). Auch daß Shorts, Minirock und Spaghettiträger nicht die passende Kleidung für einen Kirchenbesuch sind, hat sich offensichtlich noch nicht überall herumgesprochen.

Gerade hinsichtlich der Kleidung lassen sich jedoch regional unterschiedliche Regelungen ausmachen. Während man in Südeuropa in keine Kirche reinkommt, wenn nicht Schultern und Knie bedeckt sind, wird nördlich der Alpen nahezu alles zugelassen. Gerade deshalb  reagieren Deutsche oftmals mit Unverständnis, wenn in Italien oder Spanien nicht geht, was doch in der Heimat kein Problem zu sein scheint. Deutsche Kirchenvertreter sind daher mitverantwortlich, wenn die Ehrfurcht und das Gespür für das Heilige hierzulande vielerorts verlorengegangen sind.

Bereits im Alten Testament hört Mose vor dem brennenden Dornbusch von Gott die Worte: „Zieh deine Schuhe aus. Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ In allen Religionen gibt es daher in Kirchenräumen auch äußere Zeichen der Ehrfurcht. Wo solche Zeichen nicht mehr geschätzt werden und auf deren Einhaltung nicht mehr geachtet wird, ist der Glaube an Gottes Gegenwart im geweihten Gotteshaus weitgehend verdunstet.

Wie kann man dem Kirchenbesucher, ungeachtet seiner Motivation zum Kirchenbesuch,  die Sakralität des Ortes wieder nahebringen? Vor allem in französischen Kirchen läuft zu diesem Zweck nicht selten ein gregorianischer Choral in Endlosschleife. So sehr es zu loben ist, daß dadurch lautes Reden unterbunden und die Aufmerksamkeit auf die Anwesenheit Gottes gelenkt wird, ist doch eine musikalische Dauerberieselung – welchen Stils auch immer – nicht unproblematisch, da dem Menschen, der ernsthaft beten möchte, hierzu fast keine Möglichkeit mehr gegeben ist. Auch geistliche Konzerte in Kirchen sind aus diesem Grund nicht nur positiv zu sehen. In evangelischen Kirchen sind sie meist eher möglich als in katholischen, wo der Glaube an die Realpräsenz Jesu Christi im Tabernakel musikalische Darbietungen in Form eines Konzertes als unpassend erscheinen läßt.

Ein weiteres Problem stellt der Eintrittspreis dar, der bei Konzerten, Kirchenführungen oder schon beim Betreten der Kirche verlangt wird. Das Gotteshaus soll jedem unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten offenstehen. Für die Teilnahme am Gottesdienst darf grundsätzlich kein Eintrittsgeld verlangt werden. Dennoch sehen sich gerade große Kirchen oftmals vor das Problem gestellt, wie der Unterhalt finanziert werden soll; außerdem verursachen zahlreiche Touristen zusätzliche Kosten.

Einführung in die christlichen Mysterien

Kein Zweifel, das Kirchengebäude und die darin befindliche sakrale Kunst bieten eine große Chance, Menschen an den christlichen Glauben heranzuführen. Dazu aber braucht es Kirchenführungen, die sich nicht nur auf den geschichtlichen oder künstlerischen Aspekt beschränken. Eine unterweisende Einführung in die Mysterien ist vonnöten, die den geistlichen Gehalt der christlichen Kunst dem Menschen von heute wieder in seiner spirituellen Tiefe erschließt. Wenn zahlreiche Menschen in die Kirche kommen, ist das noch kein Erfolg, jedoch eine große Gelegenheit zur Glaubensverkündigung.






Georg Alois Oblinger ist Rektor der Gebetsstätte „Maria, Mutter der Kirche“ in Marienfried bei Neu-Ulm.

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