© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Sehnsucht am Küstenstrich
Kino: „Es gilt das gesprochene Wort“ von Ilker Çatak schildert die unmögliche Verbindung einer deutschen Frau mit einem kurdischen Jüngling
Sebastian Hennig

Lange bevor Ilker Çatak 2017 sein Spielfilmdebüt „Es war einmal in Indianerland“ (JF 43/17) drehte, beschäftigte ihn bereits der Stoff zu „Es gilt das gesprochene Wort“. Zehn Jahre Vorlauf hatte dieser in Marmaris, Bodrum und Hamburg gedrehte Film über eine vorgetäuschte Ehe und echte Liebesenttäuschungen zwischen einer deutschen Pilotin und einem kurdischen Gigolo. Die Urlaubsdialoge wurden im laufenden Betrieb der Stranddisko aufgenommen.

Der Geschichte liegen Beobachtungen aus der Kindheit des Regisseurs zugrunde. Çataks Eltern hatten mit dem in Deutschland erarbeiteten Geld in ihrer Heimat eine Pension gegründet. Der in Berlin Geborene verbrachte dort seine Sommerferien. Dabei konnte er mehr als einmal die Konstellation beobachten, die er nun im Film gestaltet hat. Die türkischen Strände sind ein anderes Thailand. Junge Männer aus Anatolien lassen sich dort vom absichtsvoll geknüpften erotischen Band nach Westeuropa ziehen.

Der Film beginnt mit der Trauzeremonie im schmucklosen Raum eines Hamburger Standesamts. Die Deutsche läßt sich mit einem kurdischen Jüngling in amtlicher Ehe verbinden. Es ist ein Pakt von zweien, die sich nicht verstehen und sich auch nichts zu sagen haben. Die vorgeschriebenen Formeln werden vom Wispern eines Dolmetschers untermalt, der dem Landsmann zuvor sein Sakko leihweise überlassen hat, damit der profane Verwaltungsakt wenigstens etwas kaschiert wird. Nach erfolgtem Ja-Wort stellt die Beamtin fest: „Es gilt das gesprochene Wort“ und regt „eine entsprechende zwischenmenschliche Geste“ an. Diese erfolgt als ein zerstreuter Wangenkuß. Ganz offensichtlich sind hier zwei Heiratsschwindler beim einvernehmlichen Betrugsversuch zu sehen.

Das Folgende fächert sich in drei Kapitel auf, „Ich war“, „Ich bin“ und „Ich werde sein“. Präteritum, Präsens und Futur I spielen auf den beharrlichen Kampf mit den Regeln der deutschen Sprache an. Die Handlung umfaßt die Spanne von drei Jahren. Baran (Ogulcan Arman Uslu) hat sich aus seinem abgelegenen Heimatort per Anhalter auf den Weg begeben in Richtung Meer. Dort ende seine Arbeitssuche in einem Strandcafé. Vorerst hat er in den hinteren Räumen für sauberes Geschirr zu sorgen und blickt zuweilen begehrlich auf die anderen Kerle, welche die westeuropäische Weiblichkeit nicht nur mit Speisen zu bedienen haben. Denn auf dem mediterranen Küstenstrich werden die heimlichen Begierden brünstiger Westlerinnen im Akkord von der Männlichkeit strammer Südländer gestillt. Diese erhoffen sich als Endziel eine Aufenthaltsgenehmigung im Herkunftsland ihrer Freierinnen zu erheiraten.

Kalkulierter Warentausch, heftige Gefühlsverwirrung

Bei einer lüsternen Französin sehen wir den unterdessen ebenfalls zum Beischlaf-Lakeien hochgedienten Baran mit dieser Absicht auflaufen. Es gelingt ihm nicht, ein erkauftes Urlaubsvergnügen als Liebesbeziehung umzudeuten. Dann kommt Marion (Anne Ratte-Polle) ins Spiel. Die Pilotin wird wegen einer Krebserkrankung ihre Anstellung verlieren. Mit ihrer Dauerbeziehung, dem verheirateten Orchestermusiker Raphael (Godehard Giese), ist sie nach der verheerenden Diagnose ans Meer geflüchtet. Die Anmache Barans prallt auf ihre aus den Angeln gehobene Existenz. Sie ist zugleich schockiert, amüsiert und erregt.

Dem Film gelingt es, das Klischee als ein Schicksal deutlich zu machen, welches kein Opfer und keinen Täter kennt. Es ist beachtlich, wie hier ein sich wiederholendes Schema gänzlich unschematisch dargestellt wird. Ilker Çatak wollte „keine naive Frau, die alle Warnungen ausblendet und blindlings an die selbstlose Liebe ihres Partners glaubt. Kein gefühlskalter Mann, der nur darauf aus ist, seine drei Jahre auszusitzen, um dann den Pass einzustecken und sich scheiden zu lassen – auch wenn das oftmals die trostlose Realität ist.“

Wie das Insekt die Blüte, so bedarf der Betrüger dessen, der sich gern und bei vollem Bewußtsein betrügen läßt. Gleichwohl ist es  ein Geschäft zwischen empfindenden Menschen. Kalkulierter Warentausch und heftige Gefühlsverwirrung schließen sich nicht aus. Marion ist ein emanzipiertes Frauenzimmer, angefüllt mit Mißtrauen und der Sehnsucht nach Hingabe. Wo sie sich der Wirklichkeit stellen sollte, zaudert sie und gibt dort nach, wo Skepsis wohl angebracht wäre.

Als sie abreist, läßt sie Baran die restliche Zeit in dem bezahlten Zimmer wohnen. Per Telefon erhält er dort den Pakt unterbreitet: formelle Heirat, dreijähriges Wohlverhalten und schließlich deutsche Staatsbürgerschaft. Sie mietet ihm eine eigene Wohnung. Auf dieser Grundlage werden alle grausamen Verwirrungen durchgespielt. Letztlich wird die Frage suggeriert, ob die Vernunftehe in eine Liebesbeziehung einmünden kann oder nicht. Doch keinem von beiden gelingt es, an die Signale anzuknüpfen, die der andere unbewußt aussendet. Immerhin entzieht sich der Film letztlich recht elegant einer läppischen Zuspitzung. 

Filmstart ist am 1. August 2019

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