© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/19 / 02. August 2019

Kinder nicht von den Eltern trennen
Der Psychologe und Pädagoge Burghard Behncke warnt vor einer forcierten Krippenerziehung
Martin Voigt

Egal was Parteien von CDU/CSU bis zu den Altmarxisten der Linkspartei in der Familienpolitik anpacken, es richtet sich gegen die traditionelle Familie. Das Wahlversprechen, man wolle mehr für Familien tun, ist schon ein Synonym für noch mehr Kinderkrippen. In bester DDR-Manier warb die CDU im EU-Wahlkampf mit dem Slogan „Jedes Kind braucht einen Betreuungsplatz. Wir sorgen dafür“. Tatsächlich schaffen immer mehr Frauen ihre kleinen Babys in Krippen und holen sie erst am späten Nachmittag oder abends wieder ab.

Wie kam es, daß einer Gesellschaft das Gespür für ihre Kinder abhanden kam und Mütter wie Väter es toll finden, ihre Babys möglichst früh in die Ganztagsbetreuung abzuschieben? Der destruktive Feminismus hat einen langen Atem und ist geschickt darin, Perfides positiv darzustellen. Burghard Behncke gibt die ausführliche Antwort. Er untersucht in seinem Buch „Auf dem Wege zur mutterlosen Gesellschaft“, wie die feministische Propaganda jahrzehntelang in Frauenohren säuselte und inzwischen auch viele westdeutsche Mütter ihre einjährigen Babys morgens abgeben und sich dabei sehr emanzipiert und gleichberechtigt vorkommen.

Nachweisbare kognitive Entwicklungsschäden

Behncke beginnt mit einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Familie. Wie leben Familien in Deutschland und in anderen Ländern Europas? Wie geht es ihnen finanziell? Können es sich Familien mit kleinen Kindern leisten, daß die Mutter daheim unentgeltlich Familienarbeit leistet? Behncke nimmt etwa das Elterngeld, das Betreuungsgeld und die steuerliche Situation dieser Familien in den Blick und belegt, daß es politische Absicht ist, der klassischen Familie das Leben schwerzumachen. Falls die CDU den Grünen weiter hinterher eilt, sind der nächste Schritt kostenlose Kitas. Viele Eltern sind wütend, daß sie mit ihrer Steuer Krippen finanzieren, obwohl sie ihre Kinder da gar nicht abgeben wollen. Diejenigen, die Kinder aus den Familien herauslösen wollen, denken aber schon einen Schritt weiter: Wenn Krippen zu Bildungseinrichtungen werden, stehen auch Kleinstkinder bald unter Bildungspflicht.

Es ist ein Trugschluß auf konservativer Seite, im politischen Gegner nur den guten Willen zu vermuten und ihn mit Fakten umzustimmen zu versuchen. Behncke seinerseits vermeidet den politischen Affront. Er beschreibt die Familie schon in den Kapitelüberschriften oft als passiven Spielball gesellschaftlicher Entwicklungen: „Abnahme der Mutterrolle“ oder „Zunehmender Bedeutungsverlust von Familie“. Dennoch richten sich Behnckes gut recherchierte Kapitel über die Bindungsforschung, die Hirnentwicklung von Säuglingen und die Studien zur Auswirkung von Fremdbetreuung nicht nur an Eltern und Pädagogen, sondern vor allem an den politischen Leser. 

Der versteht auch ohne Polemik, daß die Politik nicht ahnungslos ist, sondern daß sie es tatsächlich nicht immer gut meint. Daß sie unter feministischem Vorzeichen seit Jahrzehnten destruktiv gegen die Familie vorgeht. Welcher derzeit amtierende Familienpolitiker (Kristina Schröder war eine rühmliche Ausnahme, und sie war dann auch nicht mehr lange im Amt) würde eine 180- Grad-Wende hinlegen, um die von ihrer Mutter getrennten Babys morgens in den Krippen nicht mehr schreien zu hören? Welche Gleichstellungsbeauftragte würde aufhören zu behaupten, daß eine Krippe für das Kind förderlicher sei als die Betreuung in der eigenen Familie, wenn sie von den emotionalen und kognitiven Entwicklungsschäden wüßte, die Behncke aus Studienergebnissen anführt? Behnckes Forderungen nach einer „wünschenswerten Aufwertung der familiären Erziehungsarbeit durch Politiker und Presse“ wirkt angesichts aktueller feministischer Forderungen, Abtreibungen bis zur Geburt zu legalisieren (Jusos), sehr optimistisch. Wünschenswert ist viel, aber wer bitte glaubt ehrlich, daß die Süddeutsche Zeitung oder der Spiegel demnächst ein Hohelied auf Vater, Mutter, Kind anstimmen?

Burghard Behncke: Auf dem Wege zur mutterlosen Gesellschaft. Garamond Verlag, Gera  und Jena 2018, broschiert, 472 Seiten, 29,90 Euro