© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

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Forschung: Der Kriminologe Werner Sohn kritisiert den schädlichen Einfluß der Politik auf die Wissenschaft
Karsten D. Hoffmann

Mit der Kriminologie ist das so eine Sache: Man kann mit ihr die Ursachen und Phänomene der Kriminalität erforschen und damit zukünftiger Kriminalität vorbeugen – oder man kann politische Vorgaben mit einem wissenschaftlichen Anstrich versehen. Daß letzteres in den vergangenen Jahren immer mehr zur gängigen Praxis geworden ist, läßt die nun erschienene, 350 Seiten starke Aufsatzsammlung des Kriminologen Werner Sohn vermuten. 

„Durchtränkt mit politisch Gewolltem“

Daran, daß der Autor das für eine solche Einschätzung notwendige Fachwissen mitbringt, bestehen keine Zweifel: Von 1986 bis 2017, also über 30 Jahre lang, war er als Leiter der Dokumentationsabteilung für die Kriminologische Zentralstelle des Bundes und der Länder (KrimZ) in Wiesbaden tätig. Aber Sohns Buch ist keine Abrechnung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Statt dessen möchte der Autor den Ertrag seines Forscherlebens darstellen. 

Und da ein Forscherleben selten stringent verläuft, hat auch die Textsammlung keinen besonders engen Bezugsrahmen oder gar einen roten Faden, der sich durch alle Einzelteile zieht. Mit seinen kriminologischen Fachbeiträgen streift Sohn Themen wie die im Titel genannte Ausländerkriminalität, den Rechtsextremismus, aber auch die Genderisierung, die Radikalisierung sowie die Thesen zur Bewährungshilfe des Stoikers Epiktet (ca. 50–138 n. Chr.).

Dabei wirft Sohn jedoch stets einen kritischen Blick auf die gesamte Disziplin. Der Autor zeichnet das Bild eines Wissenschaftszweiges, der sich infolge politischer Beeinflussung weit von Neutralitätsgrundsätzen entfernt habe. Kriminologische Forschungsliteratur sei „durchtränkt mit politisch Gewolltem und weltanschaulich Erwünschtem“. Der allgegenwärtig im Raum stehende Vorwurf der „Diskriminierung“ unterdrücke jede freie Wissenschaft. Die Kritik des Verfassers gilt insbesondere den Kriminologen, die sich selbst als „kritisch“ verstehen. 

Wiederholt reibt er sich am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) und ihrem ehemaligen exponierten Leiter, dem späteren niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer. Dessen Publikationseifer nötigt Sohn zwar einigen Respekt ab, jedoch zieht er die Untersuchungsmethodik des KFN wiederholt in Zweifel – etwa, wenn er Untersuchungen zur Islamfeindlichkeit betrachtet und in Frage stellt, ob es als Tatbestand der Diskriminierung zu werten sei, beim Einkauf „unhöflich behandelt“, „abwertend angesprochen“ oder „komisch angeschaut“ zu werden – und ob die angesprochenen Verhaltensweisen nicht auch eine bloße Reaktion auf ungebührliches Verhalten des Gegenübers sein könnten.

Gleich an mehreren Stellen des Buches beklagt Sohn, daß das Thema „Ausländerkriminalität“ tabuisiert und aufgrund politischer Maßgaben aus den Statistiken herausgerechnet werde. Dabei erscheinen die meisten von Sohn genannten Beispiele für dieses Herausrechnen allerdings legitim – etwa wenn es um aufenthaltsrechtliche Delikte geht oder darum, daß die beobachtete Gruppe Nichtdeutscher einer äquivalenten Gruppe Deutscher gegenübergestellt werden sollte. Aber der Autor formuliert Denkanstöße, die die Aussagekraft der offiziellen Statistiken in Frage stellen. 

Erkenntnisse der Forschung werden zuwenig beachtet

Nur mal angenommen, eine hohe Zahl von Wohnungseinbrüchen ginge auf das Konto organisierter osteuropäischer Banden, so würde sich dies aufgrund der geringen Aufklärungs- und Verurteilungsstatistiken kaum in der Kriminalitätsstatistik niederschlagen. An dieser Stelle wären kriminologische Studien notwendig – derer es aber wegen der Tabuisierung des Themas zuwenig gibt. 

Und eben das ist das Hauptanliegen des Autors: Sohn plädiert für eine freie und ergebnisoffene wissenschaftliche Debatte – anstatt ganze Phänomenbereiche aus Gründen der Political Correctness zu ignorieren. Daher stößt auch die freiwillige Selbstbeschränkung der Medien in Form eines Pressekodex bei Sohn auf Kritik: Habe die Presse in den sechziger Jahren noch frei und reißerisch über Ausländerkriminalität berichten können, so würde sie heute „immerhin noch reißerisch“ berichten dürfen.

Die im Buch enthaltenen Aufsätze wurden mehrheitlich bereits in den Jahren 2005 bis 2018 in Fachzeitschriften veröffentlicht. Sohn setzt sich also nicht dem Vorwurf aus, lange geschwiegen und erst nach seiner aktiven Berufstätigkeit auf Mißstände hingewiesen zu haben. Da auf eine umfassende Überarbeitung der Texte aber offenbar verzichtet wurde, sind die Quellen oftmals nicht mehr aktuell, und der Veröffentlichungszeitpunkt muß beim Lesen mitgedacht werden. 

Deutlich wird dies etwa, wenn Sohn fordert, Präventionsprojekte müßten sich vor allem mit den Skinheads auseinandersetzen. Dabei hat deren Bedeutung für die rechtsextreme Szene bereits seit der Jahrtausendwende deutlich nachgelassen. Weiterhin aktuell erscheint dagegen die These, daß Sozialarbeiter und Präventionsprojekte den Kontakt mit den Rechtsextremen meiden würden – aus Angst, selbst in die rechte Ecke gestellt zu werden. Im Rechtsextremismus lägen Forschungserkenntnisse vor, die „erstaunlich wenig“ Beachtung bei den Präventionskonzepten fänden, etwa das jugendliche Alter, die Gruppendynamik und der Alkoholismus. Sohn stellt zudem die Frage, „inwieweit die rechtsextremistisch erscheinende Gewalt überhaupt politisch motiviert ist“. So sei Ideologie oft nur eine aufgesetzte Begründung für Gewalthandeln.

Viele Thesen des Buches sind stichhaltig, die meisten aktuell. Insofern erweist sich Sohns Beitrag als wertvoller Kontrapunkt in einem stromlinienförmigen Wissenschaftszweig. Während die meisten selbsternannten „kritischen Wissenschaftler“ mit dem Zeitgeist segeln, hat sich Werner Sohn das Attribut „kritisch“ redlich verdient. 






Dr. Karsten D. Hoffmann ist Politikwissenschaftler und Sprecher der Forschungsgruppe Extremismus und Militanz (FGEM).  

Werner Sohn:  Ausländerkriminalität, Rechtsextremismus, Krawall. Eine Kritik der politisierten Kriminologie. Manuscriptum, Lüdinghausen 2019, brosch., 352 Seiten, 23,80 Euro