© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Deutscher Flackerstrom nervt das Ausland
Verkorkste Energiewende: Sie gefährdet unsere Versorgungssicherheit, schadet der Wettbewerbsfähigkeit und bringt Chaos ins europäische Netz
Marc Schmidt

In den Aktenschränken des Berliner Politbetriebs schlummert ein Gutachten von 2011 mit dem sperrigen Titel „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“. Die Autoren beschreiben den Zusammenbruch von Gesellschaft, Wirtschaft und Zivilisation durch das Ende von Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung sowie innerer Sicherheit nach 72 Stunden. Zum Glück nur Papier, nur ein Szenario. Doch in den vergangenen Monaten mußten die deutschen Netzbetreiber mit Hilfe ihrer europäischen Nachbarn mehrfach durch starke Eingriffe und sogenannte Lastabwürfe in Frankreich das Stromnetz vor dem Zusammenbruch retten.

Falsche Subventionierung, hohe Kosten für Verbraucher

Die deutsche Energiepolitik forciert nicht erst seit dem Ausstieg aus der Kernenergie 2011 Fehlentwicklungen. Dabei haben sich sowohl Große wie auch CDU/CSU/FDP-Koalitionen als unfähig oder unwillig erwiesen, die energiepolitischen Fehler des ehemaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin (1998–2005) zu korrigieren. Bis heute wird Strom aus Wind und Sonne subventioniert, unabhängig vom Bedarf. Sogar nichtabgenommene Energiemengen werden Ökostromproduzenten vergütet, zudem haben sie bei der Einspeisung Vorrang, was die Steuerung der schwerfälligen Kraftwerke und Netze erschwert. Die Energiepolitik setzt seit fast 20 Jahren auf falsche Anreize für falsche Technologien an den falschen Standorten.

Mit 30 Cent pro Kilowattstunde (kWh) zahlen 99 Prozent der Unternehmen und Bürger die höchsten Strompreise Europas, obwohl der Strom an der Börse für vier bis fünf Cent pro kWh gehandelt wird. Ein Prozent der Verbraucher ist von den meisten Umlagen auf den Strompreis befreit – dies sind zugleich die größten Verbraucher: Schwerindustrie und Rechenzentren. Die Kosten der Energiewende bezahlen also Bürger und Mittelstand.

Seit fast 20 Jahren sind die Profiteure der Energiewende Investoren und Immobilienbesitzer in Einzelbauweise. Also kleinere, wohlhabende, einflußreiche und grünwählende Gruppen, die sich Klagen gegen eine Abschaffung ihrer EEG-Privilegien leisten könnten. So werden auch in Zukunft die normalen Verbraucher EEG-Umlage zahlen für Investoren, denen die Investition in Solarzellen auf dem Dach oder Windräder oft mehr als den zehnfachen Wert der Ausgaben einspielt.

Hohen Anteil an den Kosten der Verbraucher haben die Netzbetreiber. Sie sind zwar bezüglich der Gewinnerzielung reguliert, allerdings ist der Betrieb der Netze trotz Regulierung und Ausbaubedarf ein lukratives Geschäft. Die Gewinne aus den Zahlungen deutscher Kunden fließen ins Ausland, beispielsweise bei Tennet an den holländischen Mutterkonzern und bei 50Hertz an den belgischen Netzbetreiber Elia Systems.

Die gute Rendite der Netze ist möglich, da die Kosten des Netzaus- und umbaus ebenfalls durch den Bürger getragen und in die Regulierung eingepreist werden. Der deutsche Stromkunde zahlt nicht nur die Kosten der Baumaßnahmen über den Strompreis, er bezahlt auch als Steuerzahler die notwendigen Planungsverfahren und Rechtsstreite.

Der teure Netzausbau ist notwendig, da die Trassen modernisiert und umstrukturiert werden müssen, um Strom mit möglichst geringen Verlusten über lange Strecken zu transportieren. Früher wurden große Kraftwerke in der Nähe von Ballungsgebieten gebaut, um diese zu versorgen und Industrie anzusiedeln. Heute werden Windparks weit von der Küste entfernt ins offene Meer geplant. Für diese Windräder besteht eine Anschlußpflicht der Netzbetreiber, weshalb Milliarden Euro in die Verlegung von Netzen fernab jeder Verbraucher investiert werden. Die bislang 17 betriebenen und geplanten Offshorewindparks in Nord- und Ostsee mit einer theoretischen Gesamtleistungsfähigkeit mehrerer Kohlekraftwerke erzeugen mehr Energie, als in Norddeutschland verbraucht wird. Diese Energie wird in Zukunft in die süddeutschen Industrieregionen gespeist, die von der Abschaltung von Kraftwerken besonders gebeutelt sind. Die Stromerzeuger stehen also über 800 Kilometer von den Abnehmern entfernt.

Ein Blackout wäre            wie ein Notstandsfall

Günstiger wäre es, den Strom in Industrienähe mit Windrädern an Land zu produzieren. Nachdem in den vergangenen Jahren auf dem Festland Windkraftanlagen mit jährlich etwa 4.500 Megawatt (MW) Leistung hinzugebaut worden sind, werden es 2019 lediglich 1.500 MW sein, mit fallender Tendenz. Neben den Stadtstaaten werden dieses Jahr auch Bayern, Hessen und das Saarland keine neuen Windenergieflächen freigeben. Neue Windräder werden deutlich weniger subventioniert, weshalb sich nur noch windreiche Standorte rechnen.

Die größten Probleme neuer Windräder sind jedoch die Entsorgungskosten und die Umweltschäden. Wer Windräder immer weiter in die Natur an windreiche Stellen verlegt, zerstört große Waldgebiete und tötet Tausende Vögel. Um auch einem tausendfachen Aufprall von Vögeln standzuhalten, werden moderne Rotorblätter aus dem Faserverbundstoff CFK gefertigt. Dieser extrem harte und giftig lackierte Kunststoff ist nicht nur energieintensiv in der Herstellung, er darf nach Gebrauch auch nicht auf gewöhnliche Weise deponiert werden. Trotz intensiver Forschung existieren nur Recyclingverfahren mit solch hohen Kosten, die den größten Teil der Windräder unrentabel machten. Um die Rotorblätter rückstandsfrei zu verbrennen, müßten extrem hohe Temperaturen erzeugt werden, die nur mit hohem Ener­gieaufwand zu erzeugen sind.

Strom ist ein Spannungszustand: Auf der höchsten Ebene muß diese kontinuierlich 50 MHz betragen. Größere Abweichungen nach oben wie nach unten führen schnell zu einem Blackout in ganz Europa.

Die Folgen eines Netzzusammenbruchs wären dramatisch: Alle Unternehmen stehen sofort still, Handy- und Kommunikationsnetze kollabieren. In den Haushalten fallen sämtliche Computer, Herde, Heizungen und Kühlschränke aus. In den Städten sofort Ampeln, Licht und ÖPNV. Nach nur wenigen Unfällen bricht der Verkehr zusammen. Dies verhindert alle Einsätze von Polizei, Krankenwagen und Feuerwehr. Dunkelheit und fehlende Alarmsysteme führen binnen Stunden zu ersten Plünderungen.

Die Wiederaufnahme der Versorgung ist nicht einfach: Es müssen europaweit Kraftwerke koordiniert werden, um die Spannung sofort richtig wiederherzustellen. Dabei ist die Kommunikation bereits zusammengebrochen, und die Notfallpläne beziehen sich auf Schätzwerte. Ein Blackout auf der höchsten Spannungsebene läßt sich nur nach Tagen, aber nicht binnen Stunden reparieren.

Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen verlieren allerdings nach drei, vier Tagen jede Notstromversorgung. Ein Nachtanken der Aggregate ist nicht möglich, da die Straßen verstopft sind und Tankstellen ohne Strom keinen Sprit aus ihren Tanks pumpen können.

Das Problem von Wind- und Solarstrom ist, daß trotz sehr guter Wetterdaten nie genau vorhergesagt werden kann, wann wieviel davon produziert werden wird. Inzwischen müssen die Netzbetreiber beinahe täglich in die Systeme eingreifen, weil die Ökoenergie in Deutschland so stark schwankt, daß im europäischen Netz eine falsche Spannung herrscht. Ein krasses Beispiel, kurz vor einem kompletten Stromausfall: Am 10. Januar 2019 wurden im europäischen Höchstspannungsnetz 49,88 MHz gemessen, um 21.02 Uhr gab es einen Alarm. Die Frequenz ist kritisch, darunter bricht das Stromnetz zusammen. Die Franzosen schalteten eine Reihe von Schwerlastindustriebetrieben ab (die dafür Schadensersatz erhalten), während verschiedene Pumpwasserkraftwerke angefahren wurden. Fast zwei Stunden später war die Spannung stabilisiert. Die Zeitspanne macht das Ausmaß der Krise und die Reaktionsprobleme deutlich, denn innerhalb der zwei Stunden gab es weitere starke Schwankungen in der Windenergieproduktion.

Die Situation zeigt, wie anfällig Europa geworden ist. Sie zeigt auch, daß Deutschland in einem solchen Fall nur mit der Abschaltung von Industrie reagieren könnte, aber nicht genug Reserven hat. Es dauert sechs bis zwölf Stunden, Gaskraftwerke aus dem Stand-by auf normale Leistung zu bringen, bei Kohle- und Kernkraftwerken mehrere Tage. Die Gaskraftwerke, die in Deutschland in Zukunft die Schwankungen der Ökostromerzeugung ausgleichen sollen, eignen sich zwar für vorhersehbare Wetterlagen, nicht jedoch für Alarmsituationen.

Die Abhängigkeit             vom Ausland steigt

Laufende Kraftwerke lassen sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite in der Leistung herauf- und herunterfahren; diese Reservehaltung bedeutet allerdings eine große Zahl laufender und nicht auf Stand-by stehender Anlagen. Entsprechend ist mit der heutigen Technik ein Anteil von 100 Prozent Wind- und Solarenergie nicht zu erreichen, weder bezüglich der Menge und der verfügbaren Flächen noch bezüglich der Zuverlässigkeit.

Neben den Preisen steigt die Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen. Deutschland kann in 51 unterirdischen Gasspeichern 28 bis 30 Prozent seines Jahresverbrauchs lagern. Der größte liegt im niedersächsischen Rehden unter einer Fläche von 910 Fußballfeldern. Mit einer Kapazität von über vier Milliarden Kubikmetern ist er der größte in Westeuropa. Der Speicher in Rehden ist über die Nordeuropäische Erdgasleitung mit der Ostseepipeline Nord Stream verbunden. Doch mit zunehmendem Bedarf an Gaskraftwerken zur Netzstabilisierung wird die Menge an Gas, die Deutschland zwischenlagert, deutlich sinken, womit langfristig die deutsche Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Rußland, Skandinavien und in Zukunft Amerika, das Flüssiggas liefern will, steigt.

Stärker jedoch als die Abhängigkeit von Gasimporten wird der Bedarf an kurzfristigen Zukäufen an den europäischen Strombörsen steigen. Falls Deutschland Kapazitätsprobleme hat, ist es oft billiger, in bestimmten Stunden ausländischen Strom zu kaufen, als eigene Gaskraftwerke zu betreiben. Da der europäische Strommarkt diskriminierungsfrei abläuft, kommen naturgemäß die billigsten Anbieter zum Zug. Zur Stabilisierung der Netze gegen die deutsche Energiewende kaufen wir französische Kernenergie sowie Kohlestrom aus Polen und Tschechien.