© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Heimat lieben
Kommunale Identität: Deutsche im Osten der Republik fühlen sich stärker mit ihren Gemeinden verbunden
Paul Leonhard

Daß Deutsche ein Bekenntnis zur landsmannschaftlichen Abstammung geben, daß Menschen sich als Pommern, Württemberger oder Hamburger fühlen oder sich gar mit ihrer Gemeinde oder Kommune verbunden wissen, beweist gerade ein Gutachten der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts München im Auftrag der in Potsdam ansässigen FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Leider spart die Studie „Stärkung kommunaler Identität“ die Frage nach der innerdeutschen oder der Staatsgrenzen überschreitenden Zuwanderung konsequent aus.

Daß nun ausgerechnet die in Dresden arbeitenden Wissenschaftler zu der Erkenntnis kommen, „Bürger, die sich mit ihrem Wohnort verbunden“ fühlten, wählten „seltener populistische Parteien“, erscheint geradezu grotesk mit Blick auf die jüngsten Kommunalwahlergebnisse und die Prognosen zu den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und auf die Ergebnisse der Studie. Gerade in Dresden, aber auch in anderen Orten demonstrierten viele Bürger gegen die von Politik und Wirtschaft als zwingend notwendig propagierte Zuwanderung mit wehenden Deutschlandfahnen und den Farben des jeweiligen Bundeslandes.

Den höchsten Grad der Verbundenheit weisen nach den beiden Hansestädten Bremen und Hamburg die Gemeinden der Flächenländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen auf. Im Durchschnitt fühlen sich 43,8 Prozent der Deutschen besonders stark mit ihrer örtlichen Gemeinde verbunden. Die mit Abstand geringste Bindung von nur 24 Prozent weisen die Kommunen des Saarlandes auf. Im Schnitt liegt die kommunale Identität in den östlichen Bundesländern sowohl 2006 als auch 2017 über dem Bundesdurchschnitt bei 45 Prozent. Im Westen stieg sie in diesem Zeitraum von 30 auf 42 Prozent.

Deutsche identifizieren sich zu 40 Prozent national

Die kommunale Identität sei ein entscheidender Faktor für Toleranz, ehrenamtliches Engagement und die politische Stabilität vor Ort, schreiben die Autoren der Studie. Bürger, die sich mit ihrem Wohnort verbunden fühlen, würden häufiger zur Kommunalwahl gehen, sich mehr für Politik interessieren, die Demokratie stärker befürworten und sich öfter im örtlichen Ehrenamt engagieren.

Verlieren die Bürger diese emotionale Bindung, sei „dies Nährboden für populistische Parteien, und es droht ein Rückgang von dringend benötigtem sozialen Engagement“, urteilen sie. Als populistisch definieren die Autoren Wähler oder Symphatisanten von: PDS, Die Linke, Republikaner, NPD, DVU oder AfD. Der Politik raten die Sozialwissenschaftler, einen Ansatz zu finden, der die Eigenheiten der Kommunen stärkt und insbesondere ländlichen Regionen, aber auch Klein- und Mittelstädten die Möglichkeit gibt, mit innovativen Konzepten, Freiräumen und „Experimentierklauseln“ (Vorschriften, die die Erprobung bestimmter Regelungen erlauben) der Bevölkerungsabwanderung entgegenzuwirken.

Grundlage der Studie sind repräsentative Befragungen der deutschen Bevölkerung zwischen 1981 und 2017. „Die Deutschen identifizieren sich im Durchschnitt etwa genauso stark mit ihrer Gemeinde wie mit Deutschland als Nationalstaat.“ Deutlich weniger Bürger würden sich mit der regionalen Ebene dazwischen verbunden fühlen, heißt es. Im Durchschnitt fühlten sich nur etwa 25 Prozent „der Deutschen sehr verbunden“ mit ihrem Bundesland.

Allerdings beruht die Erhebung lediglich auf einem Datensatz von etwa 5.500 Personen, über deren Selbstverständnis und Herkunft der Leser nichts weiter erfährt. Unklar bleibt dabei, wen die Wissenschaftler mit dem Begriff „die Deutschen“ meinen, was aber bei dem hohen Anteil an Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund wichtig gewesen wäre. Laut Statistischem Bundesamt waren Ende 2017 rund 10,6 Millionen Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit erfaßt, darunter 700.000 Syrer, 867.000 Polen und 1,48 Millionen Türken.

„Unklar sei, wie kommunale Identität insbesondere auf den Umgang mit Minderheiten wirken könnte“, heißt es in der Studie. „Einerseits könnte eine starke kommunale Identität ausgrenzend wirken, wenn etwa zu eng geknüpfte lokale Nachbarschaften Minderheiten nicht akzeptieren und populistische Einstellungen damit kanalisieren.“ Es sei aber auch ein umgekehrter Zusammenhang möglich: Identifizierten sich die Bürger stärker, könnte die Solidarität untereinander stärker ausgeprägt sein.

Landbewohner mit lokaler Bindung lehnen Vielfalt ab

Dies könnte dann „populistischen Strömungen“ eher entgegenwirken, schreiben die Dresdner Wissenschaftler. Bei kommunaler Identität gehe die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer populistischen Partei um durchschnittlich 2,5 Prozent zurück. Das zeige sich insbesondere in Ostdeutschland (minus fünf Prozent). In Mittelstädten wirke sich die Verbundenheit aber positiv auf die Zuneigung zum „Populismus“ aus (plus 1,4 Prozent).

Gegenüber Diversität zeigten sich Menschen mit starker kommunaler Verbundenheit hingegen im Durchschnitt zustimmend (plus 2,7 Prozent). Die Frage dazu lautete: „Könnten Sie einmal alle diejenigen benennen, die Sie nicht gern als Nachbarn hätten?“ Wer eine der folgenden Gruppen nannte – „Menschen anderer Hautfarbe“, „Ausländer“, „Muslime“, „Sinti und Roma“, „Menschen anderer Religion“ oder „Menschen, die eine andere Sprache sprechen“ –, galt als jemand, der Diversität ablehnt. Hier trat ein Gegensatz zwischen städtischen Gebieten (Groß-, Mittel- und Kleinstadt) und dem ländlichen Raum hervor. Personen, die auf dem Land wohnten, lehnten Diversität zu 5,8 Prozent wahrscheinlicher ab, wenn sie eine starke Bindung zur Gemeinde hatten.

Harsche Kritik übt die Studie an Zwangsfusionen von Gebietskörperschaften und an der Einschränkung kommunaler Handlungsspielräume: „Neue bzw. größere Gebietszuschnitte infolge von Gebietsreformen wie in vielen ostdeutschen Bundesländern reduzieren die kommunale Identität erheblich.“ Diese sinke besonders stark bei Fusionen von Gemeinden. Übertragen Bund und Länder Aufgaben an die Kommunen insbesondere im Sozialbereich, wirke das negativ, weil so die freiwilligen Aufgaben in den Bereichen Kultur, Infrastruktur, Stadtentwicklung und sozialer Zusammenhalt nicht mehr finanzierbar seien, welche aber Schlüsselfelder für kommunale Identität darstellten.

Um dem gegenzusteuern, schlagen die Wissenschaftler interkommunale Kooperationen als Alternative zu Gebietsreformen, eine Aufwertung der Ortschaftsräte und neue Formen der demokratischen Teilhabe vor. Daß die Bürger in den Dörfern und Kleinstädten längst kein Vertrauen mehr in die etablierten Parteien haben, zeigt die Vielzahl der in den Gremien vertretenen lokalen Wahlbündnisse.