© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

Pankraz,
Osteuropa und der ökologische Gulag

Aus ökologischen Gründen müssen individuelle Freiheiten „radikal eingeschränkt“ werden. So brüllte es vergangene Woche aus der linken Berliner tageszeitung. Der Autor Niko Paech, seines Zeichens studierter Volkswirt, will damit das Anliegen der sich zur Zeit im Westen etablierenden „Verbotskultur“ noch weiter ausdehnen. Das Onlineportal Perlentaucher faßte den Aufsatz so zusammen: Der ökologische Gulag muß her! 

Nun, zumindest in den ostmitteleuropäischen, ehemals kommunistischen EU-Staaten, Polen, Ungarn, Tschechei, Slowenien, dürfte das nicht gelingen. Für sie ist das Wort „Gulag“, was sein Schreckens-potential betrifft, faktisch identisch mit dem Wort „Holocaust“, steht für Mord und Auslöschung, Identitätsverlust, Dauer-KZ, Zwang und Demütigung. Wenn ihnen jetzt, mit welchem Adjektiv davor auch immer, ein neuer Gulag in Aussicht gestellt wird, beginnt für sie Alarmstufe eins. Allzu gut paßt das Paech-Geschrei in ein Phänomen, das die Ostmitteleuropäer schon seit längerem provoziert und beunruhigt.

Gergely Péterfy, Schriftsteller  in Budapest, hat anläßlich dieser Diskussion bereits ein ganzes Buch geschrieben: „Der ausgestopfte Barbar“. Ihn beunruhigt, daß im Westen die Sache immer so hingestellt wird, als seien die ostmitteleuropäischen Völker  – angeblich kulturell ohnehin stets unsicher und von außen abhängig – in den Jahren der sowjetrussischen Diktatur völlig unselbständig geworden, hätten sich gleichsam daran gewöhnt, alles von außen vorgeschrieben zu kriegen. Ihr Widerstand gegen aktuelle Globalisierungsnotwendigkeiten und gegen umfassende EU-Regelungen sei also nicht ernst zu nehmen.


In Wirklichkeit, so Péterfy – und er ist wahrhaftig nicht allein –, verhalte es sich genau umgekehrt. Die aktuelle Renitenz der Ostmitteleuropäer gegen allzu eifrige Globalisierung und EU-Regelei sei Ausdruck tief eingewurzelter menschlicher Welterfahrung und realistischer intellektueller Reaktion darauf. Und nicht zuletzt sei sie Ausdruck moralischen Anstands und wachsenden Widerstands gegen die Regelwütigen. Gergely Péterfy: „Denn die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte war nicht zuletzt die Geschichte eines großen Verrats und ging beinahe immer mit einem moralischen Zusammenbruch einher.“

Ja, es stimmt: Weil die östlichen EU-Länder lange in einer Diktatur leben mußten, in der es von Verboten von an sich selbstverständlichen Kulturpraktiken nur so wimmelte, sind sie gegen allzu viele Verbote im Alltag, ganz zu schweigen von der Ausdehnung einer „Verbotskultur“ respektive der Schaffung eines „ökologischen Gulags“. Was soll nicht alles verboten werden! Man soll kein Fleisch mehr essen dürfen, man soll nicht mehr fliegen und keine Kreuzfahrten unternehmen dürfen, große Wohnungen von hundert Quadratmetern sind von Übel, Autos sollen nicht mehr mit Benzin fahren dürfen … 

Und zu alledem erfährt man, daß diese Verbote völlig nutzlos sind, daß sie einzig dazu dienen, daß sich einige Ideologen und selbsternannte Weltretter wichtig machen können! Denn  selbst wenn in Deutschland alle diese Verbote per Drohung mit Sanktionen rücksichtslos durchgesetzt würden, würde das nicht das geringste an der globalen Erderwärmung ändern. Deutschland stößt schon heute weltweit nicht mehr als anderthalb Prozent des klimatreibenden CO2 aus. Sein Einfluß auf das Weltklima ist gleich Null. Die Drohung gegen eventuelle Klimasünder indessen reicht schon ins Unendliche.

Freilich, wer in der gegenwärtigen „Klimadiskussion“ auf diese groteske Differenz hinzuweisen wagt, wird in den Medien, beispielsweise kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeiung, in grimmigster Weise angegriffen und belehrt. Es müsse doch, so heißt es darin, in der Welt wenigstens einen Gerechten geben, der den anderen die Leviten liest, weil er eben auch den (nachweisbar unschuldigen)  eigenen Leuten die Leviten liest.  Zur neuartigen Verbotskultur trat hier also die (nicht ganz so neue) Moralapostel-Kultur, das Image der Verbotsapostel wird dadurch nicht aufgehellt.


Einer von ihnen, Richard David Precht (54), forderte jetzt in einem ausführlichen Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen ausdrücklich „mehr Verbote“. Zitat: „Wenn Sie in Deutschland etwa die Massentierhaltung verbieten wollten, hätten Sie bereits jetzt eine Bevölkerungsmehrheit dafür. Natürlich wäre erst mal die Folge, daß der Fleischpreis steigt. Dann würden sich die Leute ein bißchen ärgern. Und innerhalb ganz, ganz kurzer Zeit würden sie sich daran gewöhnen, daß Fleisch teurer ist als früher. Und irgendwann würde man es gar nicht mehr vergleichen. Dann ist das halt so.“

Precht sagte auch, er finde es furchtbar, daß die Politik vor Verboten eine solche Angst habe. „Es ist schlimm, daß sie als Politiker heute bis zur Blödigkeit darauf erpicht sein müssen, beliebt zu sein, und sich nie trauen, etwas zu machen, das vernünftig ist. Die Grünen sind da ein typisches Beispiel, weil man ihnen vorgeworfen hat, daß sie eine Verbotskultur einführen wollen. Und in jedem zweiten Satz sagen die Grünen: Nein, das wollen wir nicht! Aber wenn sie ihre Ziele umsetzen wollen, müssen sie genau das tun.“

Die meisten Berufspolitiker, sogar bei den Grünen, sind letztlich eben doch klüger als die selbsternannten Moralapostel und Besserwisser. Sie wissen (und zwar schon seit der Antike, siehe Cicero, siehe Seneca), daß „Verbieten“ faktisch gleichzusetzen ist mit „Lust auf etwas machen“. Dem Verbot wohnt eine fast unwiderstehliche Kraft der Versuchung inne. „Warum hungert so sehr der Mensch nach verbotener Speise?“ wunderte sich schon Ovid vor zweitausend Jahren. Und unser Novalis dichtete in seinem Fragment gebliebenen Roman „Heinrich von Ofterdingen“: „Die verbotene Frucht zu brechen / Fühlen wir der Sehnsucht Schmerz“.

In den großen Moralschriften der Menschheit (so in den Zehn Geboten) gibt es keine Verbote, nur Gebote, und diese sind knapp formuliert. Was sich von selbst versteht, muß so gesagt werden. Nur die Freiheit als Summe von Möglichkeiten ist unabsehbar.