© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 33/19 / 09. August 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

In der Debatte über die Restitutionsforderungen des Hauses Hohenzollern dominieren drei Argumente: die haben schon genug, Wilhelm II. war schuld am Ersten Weltkrieg und seine Familie am Aufstieg Hitlers, mithin am Zweiten Weltkrieg und dem Judenmord. Dazu wäre das eine oder andere zu sagen im Hinblick auf das Unschöne am Ressentiment, historische Ahnungslosigkeit oder die Tiefenwirkung von Feindpropaganda.

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Kriminalromane I: Immer wenn in triumphalem Ton der baldige Tod des weißen Mannes verkündet wird, kommen mir die Kriminalromane von Mike Nicol in den Sinn. Die sind berühmt für ihren Realismus, wenn es um die Schilderung der gesellschaftlichen Zustände in Nicols Heimat Südafrika geht. Gemeint sind die Zustände im Post-Apartheid-, Post-Mandela-Südafrika, die so gar nichts zu tun haben mit den Hoffnungen, die einst an die Entstehung der ersten „Regenbogennation“ geknüpft waren.

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„Nun, die liberale Ideologie setzt voraus, daß es nicht nötig ist, etwas zu tun. Die Migranten können ungestraft töten, plündern und vergewaltigen, da ihre Rechte als Migranten gewahrt werden müssen. Um welche Rechte geht es? Jedes Verbrechen muß bestraft werden. Deshalb ist die liberale Ideologie überflüssig geworden. Sie ist in Gegensatz getreten zu den Interessen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung.“ (Wladimir Putin in einem Interview mit Financial Times)

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In Algerien wird momentan über eine Gesetzesinitiative diskutiert, die das französische Kolonialregime als „Genozid“ wertet, um auf diese Weise internationalen Druck aufzubauen, der Paris zur Zahlung von Wiedergutmachungsleistungen zwingen soll, zumal die früheren Herren bei der Entlassung in die Unabhängigkeit nur Ruinen und wertlosen Plunder zurückgelassen hätten. Der Afrikanist Bernard Lugan verweist demgegenüber darauf, daß die Franzosen in den einhundertfünfzig Jahren ihrer Herrschaft über ein Gebiet, das bis dahin nicht einmal einen Namen besaß, 54.000 Kilometer befestigter Straßen und 26.000 Kilometer Wüstenpisten anlegten, hinzu kamen 4.300 Kilometer Eisenbahnstrecke. Sie errichteten vier Häfen nach internationaler Norm, 23 weitere, die von großen Handelsschiffen angelaufen werden konnten, 34 Leuchttürme und ein Dutzend Flughäfen. Außerdem zu erwähnen seien Tausende von Verwaltungsgebäuden, Kasernen, 31 Kraftwerke, Hunderte von modernen Fabriken, Bildungsstätten, an denen 800.000 Kinder unterrichtet wurden, Gymnasien, Hochschulen, eine Universitätsklinik in Algier, 14 Spezialkliniken und 112 weitere, die der allgemeinen medizinischen Versorgung dienten. 1959 machten die Ausgaben für Algerien 20 Prozent des französischen Etats aus und lagen damit pro Kopf der Bevölkerung auf demselben Niveau wie für die Bürger des Mutterlandes. Das importierte aus dem Überseegebiet vor allem Lebensmittel, während Algerien heute Tomatenkonzentrat, Kichererbsen und selbst den Grieß für Couscous einführen muß.

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Spitze des Fortschritts: Im November 2018 hat Schottland erklärt, daß es als erstes Land der Welt das Gender-Konzept zur Grundlage der gesamten Erziehung machen werde. Eine der Folgen ist, daß jetzt ein Lehrer in Aberdeenshire einen siebzehnjährigen Schüler aus der Klasse geworfen hat, weil dieser darauf beharrte, daß es nur zwei Geschlechter gebe: Mann und Frau.

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Kriminalromane II: Es hat einige Zeit gedauert, bis Arturo Pérez-Reverte zu seiner alten Form zurückgefunden hat. Seine letzten Romane konnten nie die Qualität von „Der Club Dumas“ oder „Der Fechtmeister“ erreichen. Dagegen läßt die neue Reihe mit dem Agenten Lorenzo Falcó als Zentralfigur hoffen, daß den ersten Bänden noch viele weitere folgen werden. Die Szenerie, die Pérez-Reverte gewählt hat, ist das Spanien des Bürgerkriegs, und während der Leser der Handlung folgt, erfährt er en passant noch einiges über die Mentalität der Spanier dieser Zeit, die Feindseligkeiten innerhalb des „nationalen Lagers“ (im ersten Band geht es um die Intrigen der Frankisten, die dazu führen, daß die Befreiung des Falange-Führers José Antonio Primo de Rivera scheitert), die absurden Verhältnisse bei den Republikanern (die sich durch die Liquidierung großer Teile des Offizierskorps militärisch fast handlungsunfähig machten) und die fatale Rolle Stalins auf der Iberischen Halbinsel, der nicht nur die Konkurrenten auf der Linken, sondern auch seine eigenen Parteigänger willkürlich verhaften ließ, ganz wie in der Heimat des Großen Terrors.

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Wenn man sich ansieht, mit welchem Tenor in diesem Sommer über „sichere Fluchtwege“, das Heldentum von Kapitänin Rackete, die Aufnahmekapazität deutscher Städte und die notwendigen Anpassungsleistungen der Deutschen im Hinblick auf fremder Leute Badegewohnheiten gesprochen wird, kann man nur eine Schlußfolgerung ziehen: Lernunfähigkeit. 

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 23. August in der JF-Ausgabe 35/19.