© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Das muß das Boot abkönnen
Bundeswehr I: Während die Politik über einen deutschen Einsatz am Persischen Golf debattiert, fehlen der Marine Schiffe
Peter Möller

Bevor sich der Kommandeur der Deutschen Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, am Sonntag via Twitter in den Sommerurlaub verabschiedete, äußerte er sich in ungewohnter Offenheit über den Zustand der Seestreitkräfte. „Wir müssen deutlich wachsen“, verbreitete er vergangene Woche über seinen Account (@chiefdeunavy) des Kurznachrichtendienstes. Hintergrund für dieses Eingeständnis der eigenen Schwäche war die Diskussion über eine mögliche Beteiligung Deutschlands an der Sicherung des Schiffsverkehrs durch die Straße von Hormus. Schnell tauchte in der öffentlichen Diskussion die Frage auf, ob die Marine überhaupt in der Lage ist, dafür die erforderlichen Schiffe zur Verfügung zu stellen, ohne bei anderen Verpflichtungen Abstriche machen zu müssen.

Piloten der Luftwaffe     fliegen zu selten

Denn die Marine geht wie alle anderen Teilstreitkräfte der Bundeswehr seit Jahren materiell und personell auf dem Zahnfleisch. „Von den 15 Fregatten, die die Marine eigentlich haben sollte, sind inzwischen sieben außer Dienst gestellt, und dafür ist bisher erst ein neues Schiff zugelaufen“, rechnet der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), vor. Die Fregatten sind teilweise bereits seit zwanzig Jahren im Dienst und gelten als reparaturanfällig. Bei neuen Einheiten kommt es immer wieder zu Verzögerungen bei der Indienststellung. 

Ähnlich sieht es bei den sechs U-Booten der Marine aus. Sie sorgen immer wieder durch Ausfälle für Schlagzeilen. Derzeit soll lediglich ein Boot einsatzbereit sein. Auch die relativ neuen fünf Korvetten haben immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen. Derzeit sind fünf weitere Korvetten, die deutlich kleiner als Fregatten sind, im Bau beziehungsweise in der Planung. Das von der Marine seit Jahren gewünschte größere Mehrzweckkampfschiff 180, von dem mindestens sechs Einheiten gebaut werden sollen, ist dagegen bislang nicht über die Phase der Ausschreibung hinausgekommen.

Wie wichtig die Marine nicht nur zum Schutz ferner Handelswege, sondern auch der heimischen Küstengewässer ist, zeigte dieser Tage ein Großmanöver der russischen Marine in der Ostsee. Nach russischen Angaben beteiligten sich an der Übung „Ocean Shield“ 10.634 Soldaten sowie 69 Schiffe und 58 Flugzeuge. Laut Kieler Nachrichten erfolgte die Verlagerung der Übung bis vor die Küste von Rügen und Fehmarn überraschend. Die Dänen schickten mehrere Patrouillenboote und die Marineheimwehr (Reserve). Man habe die russischen Einheiten „eskortiert, so wie es ein Standardverfahren für uns ist“, zitiert das Blatt einen Sprecher der dänischen Marine. Weiter schreiben die Nachrichten: „Für die Eskorte vor der deutschen Küste mangelt es aber an geeigneten deutschen Einheiten.“

Nach eigenen Angaben hatte die deutsche Marine dennoch den russischen Flottenverband, zu dem auch große Landungsschiffe gehörten, jederzeit vollständig im Blick. Einzelheiten unterlägen jedoch der Geheimhaltung. Ein von der russischen Marine veröffentlichtes Bild der Übung zeigt neben russischen Einheiten in einiger Entfernung und etwas abseits ein weiteres Schiff: Dabei handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das deutsche Flottendienstboot Oste, ein mit Technik vollgestopftes Aufklärungsschiff der Marine.

Der kritische Zustand der Marine ist indes nicht die einzige Baustelle für die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sie von ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen (beide CDU) geerbt hat. Für Schlagzeilen sorgte in den vergangenen Tagen vor allem die Luftwaffe. Als Folge der unzureichenden Einsatzbereitschaft der Kampfjets Eurofighter und Tornado aufgrund fehlender Ersatzteile konnten 2018 nach Angaben der Bundesregierung nur 512 der 875 Piloten der Luftwaffe ausreichend Übungsflüge absolvieren. Damit waren 42 Prozent der Piloten zu selten in der Luft, um die von der Nato pro Jahr geforderten 180 Flugstunden zu erreichen. Bei immer mehr Piloten sorgt dieser Zustand offenbar für Frust: Von Januar bis Juni 2018 haben sechs Bundeswehr-Piloten ihren Dienst quittiert. Eine dramatische Entwicklung: Denn in den fünf Jahren zuvor warfen insgesamt lediglich elf Piloten vorzeitig das Handtuch.

Auch ein anderes Fluggerät bereitet immer wieder Kopfzerbrechen: In der vergangenen Woche war bekannt geworden, daß die Bundeswehr bereits am 2. August ein Flugverbot für den Kampfhubschrauber Tiger des Heeres verhängt hatte. Zuvor hatte der Hersteller Eurocopter davor gewarnt, daß mangelhafte Bolzen innerhalb der Rotorsteuerung des Tigers zu Einsatz gekommen seien. Bereits in der Vergangenheit hatte das Fluggerät, daß mit mehrjähriger Verspätung an das Heer geliefert worden war, immer wieder für Probleme gesorgt. Im März hatte die Welt am Sonntag unter Berufung auf den geheimen „Bericht zur Materiallage der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ berichtet, daß 2018 von 53 Tiger-Kampfhubschraubern durchschnittlich nur 11,6 einsatzbereit gewesen seien. Im Juli 2017 war in Mali ein Tiger der Bundeswehr in Folge eines Fehlers bei der Wartung abgestürzt, zwei Soldaten starben.

Doch nicht nur in der Luft hakt es derzeit: Die Ausschreibung für die neue Standardwaffe der Bundeswehr, die das Sturmgewehr G36 ersetzen soll, entwickelt sich immer mehr zur Farce. Da die Ansprüche der Bundeswehr an das neue Gewehr offenbar viel zu hochgesteckt sind, haben sich bereits mehrere Waffenschmieden aus dem Wettbewerb zurückgezogen. Der Bundesrechnungshof spricht mittlerweile von „weitreichenden und schwerwiegenden“ Mängel in der Ausschreibung. Daß die Beschaffung dadurch bereits mehrere Monate hinter dem Zeitplan liegt, gehört bei der Bundeswehr dagegen mittlerweile zum Standard bei neuen Waffensystemen.

Neue Dynamik hat unterdessen die Affäre um das ausufernde Engagement von Unternehmensberatern durch das Verteidigungsministerium erhalten. In der vergangenen Woche ist die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion bekannt geworden, nach der das Wehrressort im ersten Halbjahr rund 155 Millionen Euro für externe Beratung und Unterstützung ausgegeben hat. Besonders bemerkenswert ist dabei, daß alle anderen Bundesministerien zusammen mit 178 Millionen Euro fast genauso viel ausgegeben haben. In der Antwort auf die Anfrage wirbt der Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber (CDU), um Verständnis für die hohen Beraterhonorare. So entfielen von den 155 Millionen Euro allein 109 Millionen Euro auf den bundeseigenen IT-Dienstleister der Bundeswehr.

Auch wenn die Berateraffäre, die derzeit auch einen Untersuchungsausschuß im Bundestag beschäftigt, noch auf das Konto von der Leyens geht, wächst der Druck auf ihre Nachfolgerin, hier zu handeln.