© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

„Das Land vor den Barbaren retten“
Italien: Nach Salvinis Koalitionsbruch liegen in Rom die Nerven blank / Lega hofft auf Neuwahlen
Marco F. Gallina

Plötzlich war die Not groß. Die Senatoren mußten am Dienstag gar aus der Sommerpause geholt werden. Denn am Montag hatte sich die Mehrheit der Fraktionschefs nicht auf das weitere Vorgehen in Italien, speziell auf einen Termin für das Mißtrauensvotum gegen den parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, einigen können. Doch bei Redaktionsschluß stand noch nicht fest, ob der Senat Conte sein Mißtrauen ausspricht und welchen Weg Präsident Sergio Mattarella wählt, das Parlament auflöst, eine Übergangsregierung benennt oder Neuwahlen ansetzt.

Der Koalitionsbruch ähnelt einem Scheidungskrieg. „Verräter“ schallte Innenminister Matteo Salvini aus dem Lager des Ex-Partners von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) entgegen, er „flüchte“ aus der Regierung und setze seine eigenen machtpolitischen Ziele über das Wohl Italiens. Nicht nur Lokalpolitiker des M5S, sondern auch deren Chef griff Salvini persönlich an. „Salvini hat die Italiener verraten, die Lega soll ihre Minister zurückziehen“, so Arbeitsminister Luigi Di Maio. Es sei eine „absurde und gefährliche“ Regierungskrise, wirft der eine Vizepremier dem anderen vor. Salvini konterte: „Ihr hängt nur an euren Stühlen!“

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, daß Salvini am Badestrand gut gelaunt Selfies mit Jet-Ski machte oder ein Bad in der Menschenmenge nahm – in Badehose und Kreuzanhänger um den Hals. Seit der Lega-Chef aber Ende vergangener Woche den Rückzug aus der Regierung angekündigte, liegen die Nerven in Rom blank. 

Salvini wählte den Zeitpunkt bewußt: die Lega liegt in Umfragen mit weitem Abstand vor den politischen Gegnern, das rechte Lager vereint die Mehrheit der Stimmen. Der Mailänder könnte der erste Ministerpräsident Italiens aus den Reihen der Lega werden, die vor über dreißig Jahren als separatistische Partei des reichen Nordens gestartet ist.

Italienische Regierungen sind für ihre Instabilität berüchtigt. 65 Nachkriegsregierungen zählt das EU-Land. Der „gelb-grünen“ Koalition aus 5 Sternen und Lega wurde eine Halbwertszeit von einem Jahr vorhergesagt; mittlerweile sind es 14 Monate. In Sicherheitsfragen und EU-Politik galten die sogenannten „Populisten“ als einig. Wirtschaftlich und finanzpolitisch trennen die Parteien jedoch tiefe Gräben. Der M5S trieb das Grundeinkommen voran, die Lega forderte die Flat-Tax. Der von dem größeren Koalitionspartner diktierte Wirtschaftskurs forderte traditionellen Lega-Wählern einiges ab. Besonders die kleinen und mittleren Unternehmer, die als Stammklientel der Nordpartei gelten, stöhnten unter neuen bürokratischen Belastungen. Entlastungen waren keine in Sicht.

Lega-Stammwähler begehren auf  

Salvini stand demnach unter Druck: der Höhenflug der Lega fand auf Kosten der Stammwähler statt, die sich neben der Lösung der Migrationsfrage zusätzliche Entlastungen erhofft hatten. Daß die Koalition an einem wirtschaftspolitischen Thema – dem Ausbau der Schnellzugverbindung Turin-Lyon (TAV) – scheiterte, war Kalkül. Es hätte auch der Streit um die Flat-Tax sein können. Salvinis Botschaft: lieber nicht regieren als schlecht regieren. Um ihre Forderungen durchzusetzen, muß die Lega stärkste Kraft werden und Salvini Premier. Der Lega-Chef sprach vom „Italien des Ja“ im Gegensatz zum „Italien des Nein“, das vom M5S und dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) vertreten werde. Es sah alles nach einem großen Coup aus.

Doch der Machiavellismus italienischer Politik macht ungeahnte Volten, die in der deutschen Politik kaum denkbar sind. Denn ausgerechnet der PD, die größte Oppositionspartei im Parlament, könnte den Durchmarsch des „Capitano“ aufhalten. Das Verhältnis zwischen PD und M5S gilt als ruinös. Die Sterne gelten als „Fleisch vom Fleische“ der Sozialdemokraten, die weite Teile des linken Wählerpotentials abgegriffen haben. Der Ex-Premier Matteo Renzi hatte den M5S sogar als den eigentlichen Gegner des PD definiert. Dummes Geschwätz von gestern: ausgerechnet Renzi, der nach seinem Sturz vor zweieinhalb Jahren als lebender Toter im Senat galt, greift in einem berlusconihaften Manöver neuerlich nach der Macht. Renzi will sich nicht nur samt PD als Koalitionspartner des M5S für eine neue Regierung empfehlen; er droht auch notfalls mit der Spaltung des PD und der Gründung einer eigenen Fraktion im Parlament, um dieses Ziel durchzusetzen. 

Nicola Zingaretti, der eigentliche Parteichef, besteht dagegen auf eine technokratische Übergangsregierung und rief zur „Einheit“ auf, man müsse „gemeinsam entscheiden“. Ansonsten spiele der PD der vereinten Rechten in die Hände. Doch Renzi bleibt hart: eine solche Regieurng sei „der einzige Weg“, der Haushaltsplan müsse beschlossen und verabschiedet werden. Der einstige „Verschrotter“ Renzi spricht von Verantwortung gegenüber der EU. 

Nicht wenige vermuten dahinter jedoch eigene Ambitionen, um bei einer vorgezogenen Neuwahl im Jahr 2020 mit einer eigenen Liste anzutreten und doch noch Ministerpräsident zu werden. Zingaretti nannte solche Pläne „hypothetisch“ und „unglaubwürdig“, vor allem, weil er Salvini nicht in finanzpolitischen Belangen „hinterherräumen“ wolle. 

Zu der Regierungskrise gesellt sich demnach auch noch ein interner Machtkampf in der größten Oppositionspartei hinzu – nicht zuletzt deswegen, weil Zingaretti selbst Ambitionen auf den Posten des Premiers nachgesagt werden. Derzeit steht die Mehrheit der PD-Abgeordneten eher hinter Renzi als ihrem Parteichef.

Berlusconi spielt wieder eine wichtige Rolle  

Nicht nur beim PD melden sich die Zombies zurück. Im M5S verkündete jüngst der Gründer und Übervater der Bewegung, Beppe Grillo, hinsichtlich der Lega: „Laßt uns das Land vor den Barbaren retten!“ Mißtrauensanträge sind nicht nur gegen Ministerpräsidenten, sondern auch einzelne Minister in Italien möglich. Nach dem Mißtrauensantrag der Lega gegen Premierminister Giuseppe Conte hat der M5S daher einen Mißtrauensantrag gegen Innenminister Salvini auf die Tagesordnung gesetzt. 

Der Capitano weiß dagegen Giorgia Meloni von den „Fratelli d’Italia“ auf seiner Seite, die ihre Stimmen bei Neuwahlen auf sieben Prozent fast verdoppeln könnten. Zwielichtiger erscheint die Position Silvio Berlusconis, der sich offiziell mit Salvini abgesprochen hat – aber auch immer wieder andeutete, einer Großen Koalition nach deutschem Modell zustimmen zu können. Daß die Lega nach der Wahl aus dem Rechtsbündnis zugunsten des M5S ausscherte, hat das Urgestein politischer Intrigenspiele nicht vergessen.