© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

In der Zwickmühle
Nordafrika: Sorgen um die abwanderungswillige Jugend auf der einen und Migrationsdruck von Süden auf der anderen Seite
Björn Beiersdorf

Zeit, den Finger auf die offene Wunde zu legen, dachte sich der amtierende Präsident des algerischen Nationalrats Salah Goudjil und ging in die Offensive. Angesichts der „besorgniserregenden Zunahme“ von Problemen mit Flüchtlingen und Vertriebenen, so der Politiker der Nationalen Befreiungsfront (FLN) auf der 10. Konferenz der Präsidenten der afrikanischen Parlamente im südafrikanischen Midrand, müßten die afrikanischen Staaten ihre Bemühungen intensivieren und vor allem auch besser koordinieren. 

Eine „stärkere Zusammenarbeit“ sei bitter nötig. Aufgrund von „Krisen und bewaffneten Konflikten, die durch interne Ursachen, aber auch durch externe Interventionen verursacht“ worden seien, habe sich die Situation weiter verschärft, so Goudjil.

George Kachio, UNHCR-Vertreter für das südliche Afrika, betonte vor diesem Hintergrund, daß sich jährlich schätzungsweise 100.000 afrikanische Migranten nach Europa aufmachen.

Nicht nur Uganda fühlt sich vom Westen allein gelassen 

Fluchtbewegungen im Maghreb seien immer besorgniserregender, Fragen der Entwicklung sowie der nationalen Sicherheit müsse daher wieder höhere Priorität eingeräumt werden, insbesondere um „kriminelle Netzwerke, die versuchen, diese humanitären Tragödien zu nutzen“, besser bekämpfen zu können, bilanziert Goudjil. 

Vor diesem Hintergrund blieb der  Migrationsgipfel im Juni 2017 in Uganda, dem größten Flüchtlingsaufnahmeland Afrikas, in bezug auf die Hoffnungen an eine internationale Unterstützung weit hinter den Erwartungen zurück. Von insgesamt 358 Millionen zugesagter Dollar zahlreicher Industrienationen seien lediglich 540.000 Dollar eingetroffen, klagte die Parlamentssprecherin Ugandas, Rebecca Kadaga, gegenüber der Nachrichtenseite The Observer.

Goudjil formuliert seine Forderungen vor dem Hintergrund prekärer wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse in der Maghrebregion: Nach Angaben des ISS (Institute for Security Studies) gaben 43 Prozent der Bevölkerung an, ihre Lebensqualität habe sich verschlechtert, in Tunesien sorgen Inflation und ein begrenzter Arbeitsmarkt für Frust in den jungen Generationen, in beiden Ländern ist der Anteil junger ausreisewilliger Erwachsener mit ungefähr 70 Prozent sehr hoch. Der Aufruf Goudjils bezieht sich primär auf einen Stopp der Migration großer Teile der jungen Generationen gen Europa. 

Betrachtet man die Zahlen, wird jedoch noch ein zweites Problem deutlich: Neben dem Druck des Verlusts der jungen Generationen, welche aus wirtschaftlichen Motiven gen Europa migrieren, sind die Länder des Maghrebs einem Doppeldruck ausgesetzt, da breite Bevölkerungsteile der südlicher gelegenen Länder Afrikas ebenfalls emigrationswillig sind. 

Nigeria, Niger oder der Sudan sind bevölkerungsreiche Länder, die ebenfalls breite migrationswillige Bevölkerungsteile besitzen, welche bereits in den nordafrikanischen Ländern verbesserte Bedingungen für sich wahrnehmen. So befindet sich der Sudan, laut der algerischen Presseagentur aps, auf Platz drei (nach Ägypten und Marokko) der größten Auswanderungszahlen mit 2,02 Millionen Migranten. Die gesamte Region Nordafrikas liegt bei cirka 11,5 Millionen und macht 29,5 Prozent der gesamten Migranten Afrikas aus. 

Neben der staatlichen Stabilisierung und Eindämmung der eigenen Emigration sehen sich nordafrikanische Staaten auch mit dem Management von afrikanischen Migranten, ob bleibend oder durchreisend, konfrontiert. 

Die Ansätze dazu sind verschieden: Marokko bietet Migranten Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsgenehmigung, stellt allerdings auch das Hauptland für die sogenannte Western Mediterranean Route dar (WMR), weshalb die marokkanische ebenso wie auch die tunesische Küstenwache bereits zahlreiche illegale Migranten aus Seenot rettet.  

Dennoch steht etwa Tunesien immer wieder am Pranger, Migranten in einer militarisierten Wüstenzone unweit der libyschen Grenze auszusetzen. Auch   Algerien gerät immer wieder in die Kritik, hundertfach illegale Migranten in der Wüste nahe den Grenzen zu Niger und Mali ihrem Schicksal zu überlassen. Jüngst erst schob Algier 53 Migranten aus dem Sudan und der Elfenbeinküste, ohne Papiere aus Libyen kommend, wieder gen Süden ab, wie der Observer berichtete.