© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Ein Land in Schockstarre
Norwegen: Der glimpflich verlaufene Anschlag auf eine Moschee in Oslo sorgt in der islamischen Welt für Empörung und Unverständnis
Marc Zoellner

Schon wieder ein Terroranschlag, diesmal zum Glück ein vereitelter: Auch nach den grauenhaften Massakern und Attentaten von Dayton, El Paso und Chicago, bei denen in der vergangenen Woche dreißig Unschuldige getötet sowie über dreißig weitere Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, reißt die Chronologie des Schreckens nicht ab.

 Diesmal traf es die Gemeinde Baerum in unmittelbarer Nachbarschaft zur norwegischen Hauptstadt Oslo, wo vergangenen Sonnabend ein 21jähriger mutmaßlicher Rechtsextremist mit zwei Gewehren und einer Pistole bewaffnet in eine Moschee eindrang, um wahllos auf die dort betenden Muslime zu feuern. Größeren Schaden verhinderte allein die zufällige Anwesenheit eines 65jährigen ehemaligen Offiziers der pakistanischen Luftwaffe, der den Attentäter noch in der Tür überwältigen konnte.

Doch trotz seines glimpflichen Ausgangs – der einzige leicht Verletzte blieb der Veteran – kommt der Anschlagsversuch für Norwegen einem Schock gleich. Noch immer lastet dem wohlhabenden, einwanderungsoffenen Land der Terrorakt des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo sowie auf der Insel Utøya insgesamt 77 Menschen ermordet und über 300 Menschen verletzt hatte, auch international als nicht wettzumachender Makel an. Insbesondere, da Nachahmer aus anderen Ländern die Anschlagsserie Breiviks immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen – angefangen bei zwei Trittbrettfahrern aus Tschechien und Polen, die im August und November 2012 kurz vor Ausübung ihrer Taten verhaftet werden konnten, bis hin zum Massaker im neuseeländischen Christ church, wo der Australier Brenton Tarrant im März dieses Jahres 51 Menschen in einer Moschee ermordet hatte. 

Breiviks Massaker ist längst nicht vergessen

Explizit hatte Tarrant sich auf Breivik bezogen; ebenso deutlich bezog sich der Amokschütze vom vergangenen Samstag auf den Attentäter von Christchurch, den er in einer kurz vorab online veröffentlichten Nachricht als „Heiligen Tarrant“ bezeichnete, „der mich zu dieser Tat auserwählt hat“.

Nur folgerichtig sorgte der erneut von Norwegen ausgehende Anschlag auf eine muslimische Einrichtung gerade in der islamischen Welt für Empörung. „Warum sind die gewaltbereiten Ultrarechten immer noch in der Lage, sich online zu organisieren?“, titelte der katarische Nachrichtensender Al Jazeera noch zwei Wochen vor dem jüngsten Terrorakt prophetisch und verwies auf eine Anfang 2019 erschienene Publikation des Institute for Strategic Dialogue (ISD). „Allein in den vergangenen vier Jahren“, zitierte Al Jazeera aus der Studie der in London ansässigen Denkfabrik für Extremismusforschung, hätten islamfeindliche Tweets aus Norwegen sich „von etwas über 120.000 im Jahr 2014 auf über 330.000 im Jahr 2018 fast verdreifacht“.

„Norwegen hält den fragwürdigen Rekord des tödlichsten Massakers durch einen einzelnen Schützen in der modernen Geschichte“, kommentiert auch die saudi-arabische Tageszeitung Saudi Gazette mit Verweis auf den Terroranschlag von 2011. „Das Problem ist jedoch, daß Breivik und sehr wahrscheinlich auch der Angreifer vom Wochenende zwar klinisch geisteskrank sind. Jene Politiker, die Rassenhß und religiöse Intoleranz als Bühne nutzen, um an die Macht zu gelangen, sind jedoch weit davon entfernt, Idioten zu sein, sondern zumeist kaltherzig und sorgfältig kalkulierend.“

„Viele Jahre lang erzählte der Geheimdienst, Muslime seien die größte Gefahr für dieses Land“, sucht Ifran Mushtaq, Vorsitzender der zuletzt angegriffenen Moschee, allerdings die Schuld bei der norwegischen Regierung. „Doch wenn man sich die letzten terroristischen Vorfälle anschaut, waren es keine Muslime, die das getan haben.“ Die Möglichkeit, zu verhindern, daß Breiviks haßerfüllte Saat erneut in Norwegen Früchte tragen kann, hätte längst in der Hand der norwegischen Behörden gelegen.