© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

160 Milliarden Euro bei marginalem Effekt
Energiewende: Heidelberger Physikprofessoren klären über Fakten, Mißverständnisse und Lösungen auf
Karsten Mark

Medial gilt die deutsche Energiewende als gute Sache. Obwohl die monatlichen Kosten unter Angela Merkel dafür weit über jene „Kugel Eis“ hinausgehen, die Jürgen Trittin 2004 prophezeite. Und so wundern auch die Reaktionen wenig, die das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ kürzlich mit auf 1.800 Euro errechneten Mehrkosten für eine vierköpfige Familie pro Jahr konfrontierte: „Das ist ja Wahnsinn“, befanden viele der Befragten.

Die Gesamtkosten summieren sich auf etwa 160 Milliarden Euro in den vergangenen zehn Jahren. Der Ausstoß von Kohlendioxid ist unterdessen in Deutschland nur marginal gesunken. So konstatierte der Bundesrechnungshof (BRH), es sei „großer Aufwand betrieben, aber leider nur sehr wenige Ziele erreicht“ worden (JF 42/18). Der Strompreis hat sich auf über 30 Cent pro Kilowattstunde verdoppelt. Im EU-Schnitt warten es 2018 nur 21,1 Cent.

Stromerzeugung deckt nur 18 Prozent des Bedarfs

Das Problem verortet der BRH beim stockenden Ausbau der Stromnetze, die die Leistung von Windparks an Nord- und Ostsee nicht in den Süden durchzuleiten vermögen. 7.700 Kilometer neue Stromleitungen seinen geplant, geschafft aber nur 950. Anwohner der Bauprojekte legen in großer Zahl Einsprüche ein. Die Monopolkommission, welche die Bundesregierung berät, empfiehlt daher eine „ortsnahe Stromversorgung“ mit Windrädern an Land. Das soll die Netze entlasten, und Bürger wie Kommunen könnten als Genossenschaftler von solchen Anlagen profitieren.

De facto werden zur Zeit kaum noch Windräder an Land genehmigt. Wie aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine kleine Anfrage der Linken hervorgeht, hat die Windkraftbranche bereits 2017 rund 26.000 Stellen abgebaut. Das sind mehr Jobs, als es im deutschen Braunkohlebergbau noch gibt. Dabei wird von Schwarz-Rot-Grün argumentiert, die heutigen Kohlekumpel könnten doch in die zukunftigsichere „grüne“ Stromerzeugung wechseln.

Was Politik und BRH indes eint, ist der feste Glaube, daß Sonne, Wind & Co. die Lösung der Energie- und Klimaprobleme bringen werden. Eine Bestandsaufnahme ohne solche Tabus haben jüngst Physiker der Universität Heidelberg vorgelegt. Unter dem Titel „Energiewende: Fakten, Mißverständnisse, Lösungen“ haben die Professoren Dirk Dubbers, Johanna Stachel und Ulrich Uwer eine komprimierte Kurzanalyse veröffentlicht. Sie messen die aktuelle Situation auf dem deutschen Energiemarkt an den von der Bundesregierung ausgerufenen „Klimazielen“ zur Verringerung des CO2-Ausstoßes. Bis 2030 soll dieser um 40 Prozent sinken. Bis 2050 hat sich Deutschland im EU-Klimapakt dazu verpflichtet, den Ausstoß um 80 bis 95 Prozent zu senken.

Die nüchternen Rechnungen der Physiker lesen sich wie ein Lehrstück zum Thema: „Wie lügt man mit Statistik?“ Die beeindruckenden grünen Erfolgszahlen lägen darin begründet, daß sie meist an der Zahl der Privathaushalte gemessen werden, die bereits mit Wind- und Solarstrom versorgt werden können. Das läßt aber außer acht, daß private Haushalte lediglich 22 Prozent des Stroms verbrauchen. Den meisten benötigt die Industrie. So verbraucht jede der vier in Deutschland noch verbliebenen Aluminium-Hütten alleine so viel Strom wie eine Großstadt. „Selbst wenn alle Haushalte in Deutschland ihren Strom aus erneuerbaren Quellen bezögen, so wären erst fünf Prozent oder ein Zwanzigstel des 80-Prozent-Ziels zur Klimagasvermeidung bis 2050 geschafft. Der Beitrag der Windkraft zur Energiewende sieht nur riesig aus, da er in Einheiten der kleinen „Münze“ Haushaltsstrom angegeben wird“, schreiben die Forscher.

Auch liegt die Stromerzeugung, die im Fokus der „Energiewende“ steht, bei nur 18 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Aussagekräftiger sei diese Aufschlüsselung: Der Verkehr habe am Gesamtenergieverbrauch den Löwenanteil von 38 Prozent. Zum Heizen, Kühlen und für Warmwasser werde 32 Prozent und bei Industrieprozessen 24 Prozent der Gesamtenergie verbraucht – und entsprechend viel CO2 produziert. Der Rest diene der Beleuchtung und dem Datenverkehr. „Würde beispielsweise im Verkehr 13 Prozent weniger Kraftstoff verbraucht, so spart dies mehr Energie ein, als alle Windkraftanlagen liefern“, schreiben die Heidelberger Physiker, um die Relationen zu verdeutlichen.

Kernkraft gefährlicher als der Klimawandel?

Und: „Selbst wenn alle Haushalte in Deutschland ihren Strom aus erneuerbaren Quellen bezögen, so wären erst sechs Prozent des 80-Prozent-Ziels zur Klimagasvermeidung bis 2050 geschafft.“ Meist würde in den Medien die „installierte Leistung von Sonnen-und Windkraftanlagen angegeben statt der tatsächlich produzierten nutzbaren Leistung. Die tatsächlich im ganzjährigen Betrieb im Mittel gelieferte nutzbare Leistung einer Windkraftanlage ist nur ein Sechstel, die einer Photovoltaikanlage ein Achtel der installierten Leistung, so die Physikprofessoren. Setzte man „die installierte Leistung aller Windkraftanlagen in Beziehung zum Stromverbrauch aller Haushalte, so gewinnt man sofort einen Wert, der sechs mal zwanzig, also 120mal höher ist als der eigentlich interessierende Anteil der nutzbaren Leistung der Windkraft am gesamten Energieeinsatz“, rechnen die Physiker vor.

Einen deutlichen Seitenhieb in Richtung Politik und den ihr nahestehenden Institutionen teilen die Physiker in ihrem Schlußwort aus: „Die Studien verschiedener Behörden und Agenturen kommen zu dem Schluß, daß man mit Wind- und Sonnenenergie, verbunden mit dem Einsatz von Elektroautos den klimaschädlichen CO2-Ausstoß um 95 Prozent verringern kann, selbst bei unverminderter Verkehrsleistung. Ob diese Planungen realistisch sind, muß jeder für sich selbst entscheiden: im Mittel, über Stadt und Land verteilt, erfordern sie alle zwei Kilometer ein Windrad, sowie zusätzlich Solarzellen über eine Fläche von mehr als tausend Quadratkilometern.“

Außerdem weisen die Wissenschaftler darauf hin, daß es – wie immer mehr Politiker behaupten – einen völligen Verzicht auf fossile Kraftwerke nicht geben kann: „Wegen der unvermeidlichen Dunkelflauten, in denen es weder Sonne noch Wind gibt, müssen für alle Wind- und Sonnenkraftanlagen eine entsprechende Anzahl fossiler Kraftwerke vorgehalten werden.“

Bei ihren Lösungsvorschlägen favorisieren die Heidelberger Physiker einen weltweiten Ansatz, dort die Sonnenenergie zu nutzen, wo sie verläßlicher ist als bei uns: nämlich in „südlichen Wüsten“. Der zweite Vorschlag ist hingegen kontrovers, denn er stellt den Atomausstieg in Frage: „Die Gefahren der Kernkraft (Kernspaltung oder Kernfusion) sollten im Vergleich zu den Gefahren des Klimawandels bewertet werden. Die in verschiedenen Industrienationen entwickelten Brutreaktoren sind übrigens nicht nur CO2-frei, sondern auch erneuerbar.“

Heidelberger Bemerkungen zur „Energiewende: Fakten, Mißverständnisse, Lösungen“:  physi.uni-heidelberg.de/