© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Biotop liebenswerter Verlierer
Träumer bestimmen das Dekor ihrer Niederlagen: Die Filmphantasie „Axel, der Held“ von Hendrik Hölzemann startet diese Woche im Kino
Sebastian Hennig

Die tragikomische Posse „Axel, der Held“ ist nach Art eines Marionettentheaters oder eines Kinderbilderbuchs aufdekoriert. Wie Puppen auf einer Modellplatte agieren die Handelnden. Eine solche Platte hat Axel (Johannes Kienast) tatsächlich in der Laube seiner Tante Vera stehen. Dort haust er und träumt sich stark und schiebt die Personen, deren Begegnung er im tatsächlichen Leben kaum gewachsen ist, zwischen den Miniaturhäusern und -bäumen hin und her. Das Industriedorf selbst steht für eine Welt, in der Erwerbssinn und Freiheitsdrang ständig im Widerstreit sind. Regisseur Hendrik Hölzemann meint, sein Film habe „die Struktur und das Herz eines Märchens, die Schönheit eines Heimatfilms und den Humor eines britischen Gangsters“.

Die Bewohner des Dorfes schuften in der riesigen Hühnermastanlage und bekommen nach Feierabend das sauer Verdiente im Kasino des gleichen Fabrikanten wieder abgenommen. Axel hat auf diesem Wege astronomische Schulden beim Hühnerkönig Manne (Sascha Alexander Geršak) auflaufen lassen. Nun ist er dessen Mädchen für alles. Im Schloß repariert er die Wasserhähne, mäht den Rasen und löst verstopfte Klosetts.  Dabei sehnt er sich allein heiß und innig  nach der zierlichen Prinzessin Jenny (Emilia Schüle) , die sich der Hühnerbaron von seinem Geld aushält. Viel besser als zu dem Macher Manne paßte sie zum träumerischen Axel. Doch er bekommt den Mund ihr gegenüber meist nur in seiner Phantasie auf. Während er die Anlage pflegt, räkelt sich Jenny auf der Liege und blinzelt in die Sonne.

Seine Tiefe erhält die Parabel durch die Gestalt von Axels zauseligem Nachbarn Heiner (Christian Grashof). Die einzige Zierde in dessen dunkler Baracke ist das grüne Band der Buchrücken von Karl Mays Abenteuerromanen. Auch Heiner ist in eine Phantasiewelt emigriert. Mannes Schergen wollen ihn aus seinem Reservat vertreiben. Als sie ihm sein Huhn töten, bemalt sich Heiner das Antlitz mit Farbe und begibt sich auf den Kriegspfad. Es bleibt nicht aus, daß Axel dazustößt. Doch die Träumer bestimmen das Dekor ihrer Niederlage. Die befreiten Hühner zeigen sich ihrer Lage wenig gewachsen. Axel wird peinlich befragt, hält nicht stand und muß Heiner in seiner verwüsteten Behausung an einem Marterpfahl auffinden. Er bindet ihn los, beide rauchen ein Pfeifchen und sinnen auf weitere Taten. Dabei scheitern sie immer schöner. Aus den Niederlagen wächst ihnen Kraft zu.

Verweise auf Karl May und andere große Vorbilder

Der Film changiert dauernd zwischen Wunderbarem und Profanem. Dem kriegerischen Indianer heftet sich in seiner absehbaren Niederlage sogleich Frau Kowalski (Katharina Wackernagel) vom Sozialamt auf die Fersen. Hier ist nun Axel wirklich einmal der Held, indem er Heiner geistesgegenwärtig vor der wohlmeinenden Bevormundung schützt.

Ergreifend ist vor allem die grunddüstere Traurigkeit dieser Mär. Diese „künstliche Welt zeigt ein Biotop liebenswerter Verlierer, das trotz oder gerade wegen seiner Künstlichkeit Rückschlüsse auf die Wirklichkeit ermöglicht“, meint Hölzemann. Die verschiedenen erzählerischen und visuellen Ebenen des Films stehen für ihn „in keinem Widerspruch zueinander. Im Gegenteil, sie machen die Wandlung unseres Helden und sein komplexes Wesen erst verständlich und nachvollziehbar: von der harten Realität des sozialen Alltags in Deutschland, geprägt von existentieller Unsicherheit und beengten Verhältnissen, zu der bunten, Spielwelt, in die sich Axel jeden Abend nach getaner Arbeit flüchtet.“ 

Im Kasino verbündet sich Jenny mit den beiden. Aus dem einarmigen Banditen strudeln die Münzen. Doch Siegen will gelernt sein. Die große Geste mißlingt immer wieder. Es ist freilich auch anstrengend, wie selbst Manne zuletzt anzumerken ist. Doch verleihen die Einbrüche in Tiefenschichten des menschlichen Beharrungsvermögens der Handlung ein heroisches Pathos. Das reißt mächtig an den Nerven und drückt auf die Tränendrüsen.

Apropos Karl May, der Bezug auf ihn rechtfertigt sich. Es gibt wohl gegenwärtig keinen überzeugenderen Film-Indianer als Christian Grashof. Er macht das Gesicht eines weisen Schweigers und wirft sich am Schluß wie sein Vorbild Winnetou mit schier übernatürlichen Fähigkeiten für die liebende Jugend in die Bresche. Der betagte Schauspieler mit den lebendigen Augen hat nichts Greisenhaftes an sich. Vom runden Schädel hängt seitlich in Strähnen das dünne weiße Haar. Wie Karl May ein organisches Geflecht aus Gelesenem wachsen läßt, so verweist auch der Film außer auf den sächsischen Phantasten noch auf andere große Vorbilder, darunter Goethes „Wahlverwandtschaften“. Oder zum Beispiel wenn Heiner der Marterpfahl durch einen der Erfüllungsgehilfen Mannes von der Schulter genommen und von diesem ein Stück auf dessen Kreuzweg getragen wird. In diesen Momenten zum Wunderbaren ist der Film groß und würdevoll.