© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Wer ist Q?
Terroranschlag in El Paso: Onlineforen und vermeintliche Internethetzer geraten unter Druck
Christian Schreiber

Ein Phantom geistert seit einiger Zeit durch die Vereinigten Staaten von Amerika und durch das Internet. Politikwissenschaftler, Reporter, politische Gegner, aber auch Leute aus dem Umfeld Donald Trumps rätseln, wer oder was sich hinter „Q“ verbirgt, vor dem nach dem Terroranschlag in El Paso auch deutsche Journalisten warnen.

Angefangen hat alles im Oktober 2017. Damals meldete sich auf der Online-Plattform „4chan“ ein Nutzer zu Wort und verkündete die bevorstehende Festnahme von Trumps früherer Gegenkandidatin Hillary Clinton. Weit mehr als 2.500 Mitteilungen wurden seitdem von „Q“ verfaßt, und hunderttausend Anhänger feiern den Account. Ausgeschrieben nennt sich der Nutzer „QAnon“ wobei das „Anon“ für anonym steht. Seit einiger Zeit agieren zumindest die Anhänger nicht mehr im verborgenen. „Wir sind Q“ stand auf Plakaten, die bei Veranstaltungen mit Trump in die Höhe gereckt wurden, sowie der mysteriöse Spruch: „Wohin einer geht, werden wir alle gehen.“ Viele trugen den Buchstaben Q aus Pappe oder auf T-Shirts gedruckt. „Q“ erklärt stets, eine Person aus der hohen Verwaltungsebene der Trump-Regierung zu sein. Als solcher habe er natürlich Zugang zu geheimen Infos. Anhänger des Präsidenten glauben, es könne sich um einen hochdekorierten Militär handeln. Sogar die Theorie, es sei Trump selbst, kursiert im Internet. 

IT-Dienstleister stellt seinen Service ein

Vieles liegt im dunkeln, auch wenn sich mehr und mehr Aktivisten outen. Die Washington Post zitierte einen Q-Anhänger mit der Aussage, rund eine Million Menschen würden die Aktionen unterstützen. Kenner der US-Szene halten das für übertrieben, sprechen aber bereits von mehreren zehntausend aktiven Unterstützern. Die Thesen, die „Q“ verbreitet, lesen sich wie das Who is Who der Verschwörungstheorien. Immer im Blickpunkt: Hillary Clinton. So wird verbreitet, daß der Sonderermittler Robert Mueller nicht gegen Trump ermittele. Offiziell soll Mueller herausfinden, wie genau die Russen den Wahlkampf im Jahr 2016 beeinflußt haben und ob es eine direkte Zusammenarbeit mit Trumps Team gab. „Q“ erklärt hingegen, in Wahrheit habe Trump eine Zusammenarbeit mit den Russen nur vorgetäuscht, um Mueller einsetzen zu können, damit dieser gegen Hillary Clinton, Barack Obama und den milliardenschweren Investor George Soros ermitteln könne. Widersprüche werden folgendermaßen erklärt: Hillary Clinton sei nur offiziell noch auf freiem Fuß, trage aber elektronische Fußfesseln. 

Die QAnon-Anhänger führen einen Kampf gegen den sogenannten Deep State, eine vermeintliche Verschwörung innerhalb hoher politischer und wirtschaftlicher Kreise, die das Land unter sich aufgeteilt hätten. Dabei geht es um Steuerhinterziehung, Korruption und systematische Kinderprostitution. Trump sei „Q“ zufolge angetreten, um diesen „Tiefen Staaten“ zu bekämpfen. „Richtet euch auf massive Unruhen ein“, schreibt „Q“, der größtenteils seine Äußerungen kurz und kryptisch hält und mit vielen Abkürzungen versieht, so daß oft nur vage Interpretationen möglich sind. Im deutschsprachigen Raum bezieht sich der Buchautor und Youtuber Oliver Janich immer wieder auf Wortmeldungen des vermeintlichen Insiders. 

Durch die Attacke in El Paso, die für das FBI Zeichen eines neuen netzgespeisten Verschwörungsextremismus ist, geraten jedoch nun die Mitteilungsknanäle unter Druck. So hat die Internetplattform 8chan – eine auch von „Q“ verwendete weniger restriktive Alternative zu 4chan – nun ihren technischen Schutz verloren. Der IT-Dienstleister Cloud-flare gab bekannt, das Portal nicht länger vor Hackerangriffen zu schützen, da der Schütze von El Paso seine Tat zuvor in dem Forum angekündigt und dort sein Manifest veröffentlicht haben soll. 8chan-Gründer Fredrick Brennan bedankte sich über Twitter bei Cloudflare für diesen Schritt und forderte sogar gegenüber der New York Times die Abschaltung der Seite. Schon der Attentäter von Christchurch hatte seine politischen Sichtweisen auf 8chan geteilt.

Kritiker geben „Verschwörungstheoretiken“ wie Q eine Mitschuld an solchen Taten. Doch so haarsträubend sich manche Q-Posts auch lesen, das öffentliche Interesse ist auch deshalb derart groß, weil die Theorien auf fruchtbaren Boden fallen. So glauben viele Menschen in den USA, daß eine rücksichtslose Klasse von Reichen das Land kontrolliere. Nirgends ist die Politik so abhängig von Großspendern und heimlichen Unterstützerkreisen wie in Washington. Derzeit sorgt der Fall des Milliardärs Jeffrey Epstein für Aufsehen, der am 10. August in Untersuchungshaft Selbstmord beging. Er soll über Jahre gemeinsam mit Freunden minderjährige Mädchen als Sex-Sklavinnen gehalten haben. Als vor Jahren ein Fall zur Anzeige kam, schloß Epstein einen Deal mit der Anklagebehörde. Er unterschrieb ein Schuldanerkenntnis, ging für ein paar Monate als Freigänger ins Gefängnis und mußte dafür keine Mittäter nennen. Denn Epstein hatte viele einflußreiche Freunde. Einer von ihnen war Ex-Präsident Bill Clinton, der ihn oft besuchte. 

Doch Epstein kam offenbar nicht zur Vernunft. So standen neue Vorwürfe im Raum. Die „Q“-Anhänger im Netz glauben, daß dies der Anfang vom Ende des „Deep State“ sei. Sie vergessen aber, daß auch Trump zumindest zum erweiterten Bekanntenkreis Epsteins gehörte.