© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG  www.jungefreiheit.de 34/19 / 16. August 2019

Knapp daneben
Überflüssige Städter
Karl Heinzen

Die französische Atlantikinsel Oléron gilt als Idyll. Die Hoffnung, hier Abstand vom Lärm der Welt zu gewinnen, will sich für ein Rentnerehepaar, das im Hauptort Saint-Pierre ein Ferienhaus erworben hat, jedoch nicht erfüllen. Jeden Morgen um 6.30 Uhr wird es durch einen Hahn namens Maurice geweckt, der auf dem Nachbargrundstück sein Unwesen treibt. Seine Besitzerin bewirtschaftet hier eine kleine Hühnerzucht. Daher sind auch alle Versuche des Ehepaars, sie davon zu überzeugen, daß der beste Platz für den Hahn eigentlich ein Suppentopf wäre, im Sande verlaufen.

Nun ist der Fall vor Gericht gelandet. Auf dem Land gibt es Tiere und die machen eben ab und zu Krach, verteidigt sich die Beklagte. Das mag schon sein, führen die Kläger ins Feld, aber in einer Wohnsiedlung, ganz gleich, wo sie gelegen sei, habe man sich an die Regeln der Zivilisation zu halten.

Traktoren rattern, Schafe blöken, Insekten stechen, und überall riecht es unangenehm nach Dung.

Über diesen Nachbarschaftsstreit könnte die französische Landbevölkerung schmunzeln, wenn es sich um einen Einzelfall handeln würde. Leider steht er jedoch für einen Trend. Immer häufiger stellen Städter, die es aufs Land zieht, enttäuscht fest, daß dieses gar nicht ihren Vorstellungen entspricht. Es gibt Traktoren, die rattern, Schafe, die blöken, Insekten, die stechen, und überall riecht es unangenehm nach Dung. Anstatt dies zu akzeptieren oder einfach in der Stadt zu bleiben, lassen sie ihrem Unmut freien Lauf. Die aggressive Überheblichkeit, die sie dabei an den Tag legen, rechtfertigen sie damit, daß sie schließlich Geld ausgeben, das die armselige Wirtschaft in der Provinz dringend bräuchte.

Damit sitzen sie jedoch einem fundamentalen Irrtum auf. Das Land hat die Städter nicht nötig. Es stellt alles, was lebensnotwendig ist, selber her. 

In den Städten hingegen hausen die überflüssigen Menschen, die das Land ausgespien hat. Nichts, was sie zu schaffen vorgeben, wird wirklich gebraucht. Man kann es verstehen, daß sie neurotisch sind, kann mit ihnen Mitleid haben. Dies gibt ihnen aber nicht das Recht, das Land mit ihren Psychosen und ihrer schlechten Laune zu ver-seuchen.