© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

An den Worten sollt ihr sie erkennen
Freund-Feind-Unterscheidung: Wie Machthaber mit Schlüsselbegriffen und Sprache Politik betreiben
Konrad Adam

An Lobgesängen auf die Sprache fehlt es nicht. Seit Aristoteles gilt sie als Gattungsmerkmal des Menschen, Leibniz rühmt sie als Spiegel des Verstandes, Humboldt widmete ihr zahlreiche Untersuchungen, die englisch geprägte Sprachphilosophie ist ohnehin der Ansicht, daß sich nur denken läßt, was man auch sagen kann. Das hat die Machthaber gereizt, sich der Sprache anzunehmen; und das ist ihr, ähnlich wie der Wissenschaft und der Kultur, der Familie oder den Finanzen, schlecht bekommen.

Als der CDU-Politiker Carsten Linnemann kürzlich vorschlug, die Kenntnis der deutschen Sprache zur Voraussetzung für den Schulbesuch zu machen, forderte er nichts weniger als eine Selbstverständlichkeit. Was sollen die armen Kinder denn lernen, wenn sie nicht verstehen, was man ihnen beibringen will?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und wie meistens, wenn etwas Vernünftiges vorgeschlagen wird, klang sie beleidigt und aggressiv. Frau Özoguz, die frühere Integrationsministerin im Kabinett Merkel, hatte vorgearbeitet, als sie im Zuge ihrer originellen Aussage, daß es so etwas wie deutsche Kultur gar nicht gebe, als einzige Ausnahme die Sprache zuließ. Für gläubige Multikulturalisten klang das wie eine Einladung, nun auch dies letzte Reduit einer wie auch immer definierten Nationalkultur zu erobern und plattzumachen. Was auch geschieht.  

Über die Reichweite der Sprache nachzudenken, ist nichts Neues. „Kein Ding sei, wo das Wort gebricht“ heißt es beim Dichter, „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ beim Philosophen. Die Mächtigen haben das schon immer geahnt und in der Absicht, diese Grenzen möglichst eng zu ziehen, Sprachpolitik betrieben. Die ihrer Macht Unterworfenen wußten das aber auch und haben alles darangesetzt, diese Grenzen zu sprengen: „Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei“, wie es in dem bekanntesten von allen deutschen Freiheitsliedern heißt.

Die Machthaber, bestehend aus Parteipolitikern und Wirtschaftsführern, Chefredakteuren und Kirchenpräsidenten, halten dagegen. Sie haben gelernt, daß man nicht denken kann, was sich nicht sagen läßt, und lassen den Sprachschatz schrumpfen. George Orwell hat das vorausgesehen und den Parteijargon, den Newspeak, als eine Sprache beschrieben, die immer ärmer wird. Er erklärt das am Beispiel des Wortes „frei“: In seiner hergebrachten, umfassenden, emotional aufgeladenen Bedeutung werde es dies Wort nach dem Endsieg des Großen Bruders nicht mehr geben, es werde sinnlos erscheinen, unverständlich und dumm. „Frei von Viren, frei von Nebenwirkungen“, so etwas werde man dann noch sagen können, mehr aber nicht. Was das Wort Freiheit für diejenigen bedeutet hat, die es in ihren Unabhängigkeitserklärungen, Grundrechtskatalogen und Verfassungstexten an die erste Stelle setzten, werde kein Mensch mehr wissen.

Auf diesem Wege sind wir gut vorangekommen. Wie weit, läßt sich dem Sprachgebrauch der europäischen Machtzentrale, der allmächtigen Kommission in Brüssel entnehmen. Statt der einen, der großen, der bürgerlichen Freiheit verspricht sie uns vier Teilfreiheiten, den freien Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Menschen – Menschen als Gegenstände der Politik, Objekte, nicht Subjekte des großen Plans. Wir haben alle möglichen Freiheiten, hatte Johann Nestroy die verlogene Liberalisierungspolitik der Ära Metternich verspottet, „sogar Gedankenfreiheit haben wir gehabt – sofern wir die Gedanken bei uns behalten haben. Mit einem Wort: Wir haben eine Menge von Freiheiten gehabt, aber von Freiheit – keine Spur.“

Seither haben die wilden, damals noch unbekannten Zweige der Kommunikationsindustrie der Propaganda, der Lüge und der Irreführung neue Möglichkeiten erschlossen. Eine allgegenwärtige Gesinnungspolizei hat dafür gesorgt, daß die Sprache nicht nur ärmer wurde, sondern auch immer hohler, beliebiger, inhaltsloser klingt. Modewörter wie Toleranz, Respekt, Diversität oder Integration können für alles Mögliche stehen, sogar für das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich einmal bedeutet hatten, für Feindseligkeit also, für Gleichmacherei, Respektlosigkeit und Intoleranz.

Schlüsselbegriffe dieser Art dienen nicht etwa der Verständigung oder als Einladung zum Gespräch, sie werden benutzt wie Signalflaggen, die man aufzieht, um festzustellen, mit wem man es tun hat, ob der andere „zu uns“ gehört oder „zu denen“: eine Art Freund-Feind-Kennung, Hoheitszeichen im modernen Bürgerkrieg. Wer beim Wort Zigeuner nicht einknickt und an Auschwitz denkt, sondern an Lenau, der diesem unruhigen Volk einige seiner schönsten Gedichte gewidmet hat, oder an die vielen Lieder, die den Zigeuner als Inbegriff der Freiheit verklären, gilt als Faschist.

So geht es weiter, ein Wort nach dem anderen kommt an die Reihe, erst die Familie, dann das Volk, am Ende auch die Menschenwürde. Wer darauf achtet, wie sich die Kirchen diesen ehrwürdigen Begriff zu eigen machen, ihn einspannen und verbiegen, der versteht, wie der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger auf den Gedanken kommen konnte, die Wörter Mensch und Menschheit, ja sogar Menschlichkeit ins Wörterbuch des Unmenschen aufzunehmen. Er tat das fünfzig Jahre bevor Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Marx beschlossen, im Namen von Humanität und Nächstenliebe zum Gesetzesbruch einzuladen. Die fixe Unterscheidung zwischen Freund und Feind ist als letzte Funktion der politisch korrekt verhunzten Sprache übriggeblieben; Carl Schmitt würde sich freuen.

„Deutsch müssen sie lernen!“ soll Carl von Ossietzky als Mittel gegen das Aufkommen der NS-Herrschaft empfohlen haben – wahrscheinlich nur halb ironisch, denn wenn sie wirklich der deutschen Sprache mit allen ihren Schönheiten und Raffinessen mächtig geworden wären, dann wären sie keine Nazis geblieben, der Spuk wäre aus gewesen. Ossietzky hielt es mit den Griechen, die alle diejenigen Barbaren nannten, die nicht gut, also nicht Griechisch sprechen konnten oder wollten. Auch darüber ist die Zeit hinweggegangen. Später führten Spitzenpolitiker wie Klaus Wowereit das große Wort, der unvergessene SPD-Funktionär, der es mit einem einzigen dummen Spruch zum Bürgermeister von Berlin gebracht hatte und in dieser Position seinen Mitbürgern dann empfahl, nicht Deutsch zu lernen, sondern Türkisch.

Die Sprache spiegelt eben nicht nur den Verstand, sondern auch den Unverstand wider; das hatte Leibniz seinerzeit vergessen. Unsere Spitzenpolitiker haben das nachgeholt, sie erinnern uns täglich an das, was fehlt, allen vorweg die Kanzlerin. „Sie redet und redet“, stöhnte einer ihrer verzweifelten Zuhörer, „aber was will sie eigentlich sagen?“ Ja, was?