© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Abschied vom Denken
Gender-Ideologie: Eine noch unvollendete Demontage der US-Geschlechterforscherin Judith Butler
Oliver Busch

Der wuchtige Angriff auf Judith Butler, die seit dreißig Jahren zwischen Berkeley und Berlin wie eine Heilige verehrte Urheberin der Gender-Ideologie, kam von unerwarteter Seite. Im Herbst 2018 brachte der Berliner Querverlag, laut Eigenwerbung „Deutschlands erster lesbisch-schwuler Verlag“, einen dicken Sammelband mit dem Titel „Freiheit ist keine Metapher“ heraus. Er vereint, ungewöhnlich genug für das linksgrüne Milieu, in dem die Autoren wurzeln, eine geballte Ladung Kritik an jenem „Gender- und Queerfeminismus“, der als „verkappte Religion“ (Carl Christian Bry, 1925) seit langem den Sinnhunger von Teilen der Öko-Bourgeoisie stillt. 

Alle Beiträger gehen von der Prämisse aus, daß der Gender-Glaube mittlerweile umgeschlagen sei in „Verrat an der Mündigkeit“. Was als „sexualpolitische Emanzipationsbewegung“ startete, steuert auf die „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukács, 1950) zu. Der längste Aufsatz des Bandes, verfaßt von dem Berliner Historiker Marco Ebert, versucht diese These an der zum „Popstar der Wissenschaft“ emporgejubelten „Geschlechterforscherin“ Judith Butler zu erhärten. Kaum verwunderlich, da in einem Nischenverlag veröffentlicht, blieben er und die anderen Häretiker des Gender/Sex-Paradigmas vom biologischen Geschlecht als sozialem Konstrukt fast ohne Resonanz. Wie erste gehässige Kommentare im Netz signalisieren, dürfte sich dies mit der soeben im Wissenschaftsteil der FAZ (Ausgabe vom 14. August) erschienenen Kurzfassung von Eberts Butler-Demontage rasch ändern. 

Spätestens nach dem Anschlag vom 11. September 2001 und als Reaktion auf den „Krieg gegen den Terror“, so Eberts Befund, vollzog Butler eine „ideologische Wende“. Weg vom liberalen Glauben an die Idee der Selbstbestimmung und Autonomie des Subjekts, hin zur „Apologie des islamischen Patriarchats“. Weg vom Universalismus der Menschen- und vor allem Frauenrechte, hin zur Verteidigung der „Freiheit, eine Burka zu tragen“. Für Ebert artikuliert sich hier ein „latentes Unbehagen in der Moderne“, das sich nun vom Rückfall in antiwestlichen Kollektivismus Befreiung von quälenden Widersprüchen der „offenen Gesellschaft“ ersehnt. In ihren vielen „Kampfschriften“ erlaube sich Butler daher „nicht weniger als den Abschied vom Denken selbst“.

Dem ist zuzustimmen, doch wäre Eberts „Dekonstruktion“ erst vollendet gewesen, hätte er sich ins Herz der Finsternis gewagt – und gefragt, ob die vom ihm in ihren Pamphleten vermißte „Wissenschaftlichkeit, stringente Argumentation und Logik“ nicht schon in Butlers Hauptwerk „Gender Trouble“ (1990), dem Koran der Gender-Religion, fehlen.