© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Neunmalkluge Reflexionen gehobenen Flachsinns
Stipendiaten-Literatur: Einige notwendige Anmerkungen zu Simon Strauß’ Reisebuch „Römische Tage“
Thorsten Hinz

Nun ist auch Simon Strauß, Feuilleton-Redakteur der FAZ und Autor des Romans „Sieben Nächte“,(JF 31/18) in Rom gewesen. Und zwar als Stipendiat der Casa di Goethe, in der der Dichter während seines Italien-Aufenthalts 1786/88 gelebt hatte und die heute von der Bundesregierung finanziert wird. Für den Autor ist das nicht nur in materieller Hinsicht von Bedeutung. Für ihn steht fest: „Romfahrer denken an Romfahrer. Sonst würden sie sich gar nicht erst aufmachen.“ 

Das ist – mit Verlaub – Blödsinn. Gäbe es Goethe nicht, blieben immer noch der Petersdom, das Colosseum, das Forum Romanum, die Via Appia, die Vatikanischen Museen und, und, und. Auf eine Berühmtheit mehr oder weniger kommt es in Rom wirklich nicht an.

Tatsächlich geht es Strauß wie allen Kulturbeflissenen, die in Rom ihre flüchtige Existenz im Mythos der Ewigen Stadt – in den natürlich auch die Rom-Reisenden eingegangen sind – spiegeln wollen. Der in Ostwestfalen geborene Schriftstellerkollege Hans-Ulrich Treichel hat es in den Frankfurter Poetik-Vorlesungen so ausgedrückt: „Besonders der in Ostwestfalen geborene Schriftsteller möchte in Italien und speziell in Rom erlöst werden: von seiner Einsamkeit, seiner Geschichtsferne, seiner emotionalen Bemoostheit, seiner Mythenleere, von seiner inneren Pinien- und Zypressenlosigkeit insgesamt.“

Besuch am Grab von Goethes Sohn August

 Die Bundesrepublik ist bekanntlich nichts weiter als ein großes Ostwestfalen. So ähnlich muß es auch der in Berlin geborene Simon Strauß empfinden, doch so schöne und einprägsame Sätze wie Treichel wollen ihm nicht gelingen. – Der Sohn des Dramatikers Botho Strauß durchstreift Kirchen, trifft Kardinäle, Generäle, besucht Bibliotheken und Schwulenbars, lernt eine Kellnerin kennen, die sich als eine in der Wolle gefärbte Faschistin erweist, und wird mit Herzrasen ins Krankenhaus eingeliefert, wo ein englischer Schauspieler elendig an Pankreaskrebs zugrunde geht. Strauß ist ein gebildeter Mann, doch gleichzeitig ist er mehr neunmal- als lebensklug, so daß seine Reflexionen über gehobenen Flachsinn kaum einmal hinausgehen.

Zwei Passagen immerhin bleiben in Erinnerung. Zum einen die Schilderung eines kulturphilosophischen Symposiums auf dem Landgut eines reichen Römers. Die glutheiße Luft gefriert zu Eis, als ein altehrwürdiger Philosoph sich gegen Abtreibungen und für die Mutterschaft als natürliche Berufung der Frau ausspricht. Für die Versammlung verwandelt er sich schlagartig in einen Aussätzigen. An anderer Stelle stellt der Autor sich den Tod der Eltern vor. „Was passiert mit den Räumen, in denen die Eltern früher lebten, die noch ihre Spuren tragen?“ Doch statt den Gedanken ernsthaft weiterzuverfolgen, verdirbt er ihn im nächsten Satz mit einer unpassenden Metapher: „Es ist wie mit den Mündern – die Form bleibt dieselbe, aber der Inhalt wechselt.“ Ja, es ist schwer, der Sohn eines berühmten Vaters zu sein.

Auf dem Evangelischen Friedhof besucht Strauß das Grab August von Goethes, der, gerade mal vierzigjährig, am 28. Oktober 1830 in Rom  an der Pockenkrankheit starb. Auf seinem Grabstein steht: „Goethe Filius“. Erwähnenswert ist er nur als Sohn des Giganten, nicht aus eigenem Recht. Simon Strauß merkt vorwurfsvoll an, daß der Dichter weder an der Beerdigung teilnahm, noch je das Grab des Sohnes besucht hat.

Das ist peinlich! Die Todesnachricht traf in Weimar am 10. November 1830 ein, als der Tote längst unter der Erde war. Ohnehin wäre eine Rom-Fahrt für den 81jährigen Goethe, dem weder Flugzeuge noch der ICE zur Verfügung standen, eine unzumutbare Strapaze gewesen. Gab es keinen kundigen Lektor, der in der Lage war, die Wissenslücke des Autors zu stopfen?

Die „Römischen Tage“ – ein Drittel Belletristik, zwei Drittel Reiseessay – sind dem Autor besser als der Roman „Sieben Nächte“ gelungen. Trotzdem sind sie bloß Stipendiaten-Literatur.

Simon Strauß: Römische Tage.Tropen Verlag, Stuttgart 2019, gebunden, 142 Seiten, 18 Euro