© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ja, mir san mit ’m Radl da
Paul Rosen

Das Fahrrad ist aus dem Berliner Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Radfahrer sind überall unterwegs, auf Straßen, Radwegen und – spätestens da fängt der Ärger an – auf Bürgersteigen, die immer mehr von Radfahrern und in jüngster Zeit von Elektroroller-Nutzern okkupiert werden. Polizei und Ordnungsamt führen einen, allerdings aussichtslos wirkenden, Abwehrkampf. Das passiert regelmäßig an der vom Bahnhof Friedrichstraße zum Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages führenden Straße Reichstagsufer, die bei Radfahrern wegen des Kopfsteinpflasters unbeliebt ist. Folglich benutzen viele den Bürgersteig – und gehen der Polizei in die regelmäßig vor dem ARD-Studio aufgestellte Falle. Dort sind oft drollige Szenen mit Radfahrern zu beobachten, die den Beamten zum Teil lautstark klarmachen wollen, daß die Straßenverkehrsordnung vielleicht für alle anderen, aber nicht für sie gilt. 

Der Drang von Radfahrern, neue Räume zu erobern, macht auch vor den Gebäuden des Bundestages nicht halt. Fahrräder dürfen hier nicht hinein – der Drahtesel ist genauso verboten wie Haustiere aller Art. Allerdings ist die Verwaltung des Bundestages den Pedalrittern  entgegengekommmen und hat Abstellmöglichkeiten direkt am Reichstagsgebäude geschaffen. Ein sich besonders clever fühlender Zeitgenosse war damit jedoch nicht zufrieden. Er wollte sein Klapprad mit ins Büro nehmen, denn das sei gar kein Fahrrad. Dafür bemühte er die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), nach der „ein Fahrrad ein Fahrzeug mit mindestens zwei Rädern ist, das ausschließlich durch Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen mit Hilfe von Pedalen und Handkurbeln angetrieben wird“. Mit einem zusammengeklappten Fahrrad könne nicht gefahren werden, so sein Vortrag. Bei den Juristen des Bundestages fand das Gesuch keine Gnade: „Falträder sind unabhängig vom Faltzustand ebenfalls als Fahrräder im Sinne des Paragraphen 63a StVZO anzusehen“, so die klare Antwort. 

Auch wenn im eigenen Haus Fahrräder unerwünscht sind, wirbt das Parlament für den Radverkehr. Die Parlamentarische Radtour fand in diesem Jahr bereits zum neunten Mal statt. Über 200 Abgeordnete, Mitarbeiter und Ministeriumsbeamte radelten durch die Innenstadt und wollten ein Zeichen setzen: „Modellversuch Geschützte Radfahrstreifen – Mehr Platz und Sicherheit für alle“, lautete das Motto der Demonstration. Inzwischen gibt es sogar einen „Parlamentskreis Fahrrad“. Vorsitzender ist der Abgeordnete Gero Storjohann (CDU). Rund 50 Bundestagsabgeordnete sollen schon dazugehören, außerdem Lobbyisten und Herstellerorganisationen wie der „Zweirad-Industrieverband“ (ZIV), der hoch erfreut ist, daß „das Thema Radverkehr bei den Entscheidungsträgern im Bund angekommen ist“. 

So ganz sicher sollte sich die Fahrradlobby da aber nicht sein: Bevorzugtes Fortbewegungsmittel der Berliner Volksvertreter ist und bleibt die Fahrbereitschaft des Bundestages (JF 28/16). Und die unterhält keine Rikschas, sondern PS-starke Limousinen überwiegend der Marken BMW, Mercedes und Audi.