© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Vertrauen sieht anders aus
Italien: Das übliche Postengeschacher erschwert die Regierungsbildung zwischen Sozialdemokraten und der Fünf-Sterne Bewegung
Marco F. gallina

Zuletzt setzte Vizepremier Luigi Di Maio dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) die Pistole auf die Brust: Conte oder Tod. Wenn der alte Ministerpräsident nicht auch der neue sein würde, dann sei es „überflüssig, sich noch einmal zu sehen“. Und weiter: „Ich bin die Spielchen leid.“ Tatsächlich ließ der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) das um 11 Uhr angesetzte Treffen vom Dienstag mit dem PD platzen. Der Zug kam für das politische und mediale Rom überraschend. Nicola Zingaretti, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, hatte am Montag noch das positive Klima zwischen beiden Fraktionen gelobt und gesagt, daß die Koalition „auf dem Weg“ sei. Der anberaumte Regierungswechsel, der den Ex-Koalitionspartner von der Lega um Matteo Salvini ersetzen sollte, geriet ins Stocken.

Basisdemokratie der M5S ad absurdum geführt

Dabei kursierten noch Montag abend aus den Kreisen von PD und M5S Listen und Namen für die neue Besetzung der Ministerien. Der Husarenritt der Sozialdemokraten auf das Wirtschafts- und Justizministerium hatte zugleich das Mißtrauen bei den Vertretern des M5S herausgefordert. In einer Stellungnahme warfen die „Sterne“ ihrem zukünftigen Partner vor, sich vor allem auf die Posten gestürzt zu haben. Inhalte seien dagegen kaum behandelt worden. Die sozialdemokratische Retourkutsche folgte prompt: „Die Regierungsvereinbarung droht wegen der persönlichen Ambitionen von Luigi Di Maio zu platzen, der Innenminister und Vizepremier werden will.“ 

Tatsächlich erinnerte die Situation an die Koalitionsbildung von Lega und M5S, als Di Maio sogar Premier werden wollte. Der Kompromiß damals: Di Maio und Salvini als Vizepremiers plus Schlüsselministerium. Da das Arbeits- und Wirtschaftsministerium an den PD gehen soll, wollte Di Maio als Führer der größten Fraktion einen gleichwertigen Ersatz. 

Entgegen der Koalition mit der Lega, die einen solchen Kompromiß mittrug, wehrten sich die Sozialdemokraten gegen eine solche Besetzung. Bereits vergangene Woche hatte der PD deutlich gemacht, daß eine neue Regierung auch einen personellen Neuanfang brauche. Der M5S-Senator Vito Crimi sagte dagegen, die Unterstellung, Di Maio wolle Salvini in seinem Amt beerben, sei eine „Falschmeldung“, die von „irgend jemandem“ gestreut worden sei. 

Vertrauen und faire Zusammenarbeit sehen anders aus. Die Spekulationen überschlugen sich, woher die erratische Wende Di Maios rührte. Da wäre einerseits der Druck der Sozialen Netzwerke und die Wut an der Basis: eine politische Entscheidung solchen Ausmaßes müßte eigentlich durch ein Online-Voting auf der M5S-Plattform „Rousseau“ basisdemokratisch abgesegnet werden. Womöglich wollte Di Maio einem solchen Szenario zuvorkommen und beschleunigte das Tempo, um die eigene Partei vor vollendete Tatsachen zu stellen. 

Andererseits: Würde die Koalition an den Forderungen des M5S scheitern, so kann er den PD zum Sündenbock erklären. Die Kritik in den eigenen Reihen war massiv: Alte Weggefährten warfen Di Maio den Ausverkauf der Partei vor, die sich nun mit der korrupten Kaste ins Bett legt, nur, um die Posten zu behalten. Es könnte zum Ende der Bewegung führen, wie sie derzeit existiere.

Daß es letztlich nur um Postengeschacher ging, galt als ausgemacht in der alten und neuen Opposition. Die Anführerin der rechtskonservativen Fratelli d’Italia (FdI), Giorgia Meloni, spottete in einem Video: „Wißt ihr noch, als der M5S das Parlament wie eine Thunfischbüchse öffnen wollte? Jetzt sind sie selbst der Thunfisch, der nicht mehr aus der Büchse raus will.“ 

Salvini bastelt an seiner Dolchstoßlegende 

Ähnlich reagierte der geprellte Noch-Innenminister Salvini: „Ehre und Freiheit sind mehr wert als 1.000 Ministerien.“ Der Lega-Chef bastelt an einer eigenen Dolchstoßlegende: Der „faule Kompromiß“ zwischen M5S und PD sei von langer Hand vorbereitet worden, besonders durch Conte mit seinen Kontakten zur EU und Angela Merkel. Abhilfe könnten nur Neuwahlen schaffen – die PD und M5S um jeden Preis verhindern wollen, da diese den M5S „massakrierten“. Der operettenhafte Intrigantenstadel könnte Di Maios Partei am Ende schwerer treffen als Salvini, der in den letzten Umfragen an Zustimmung verloren hatte.

Am Dienstag nachmittag eskalierten die Vorwürfe auf beiden Seiten. Der PD warf dem M5S vor, ein Ultimatum nach dem nächsten zu stellen, statt Sacharbeit zu leisten; der M5S beklagte sich über die „wirren Ideen“ des PD. Der M5S-Senator Luigi Paragone kündigte an, gegen eine Regierung mit dem PD zu stimmen. Nach nur einer Woche der Konsultationen herrscht ein aufgeheiztes Klima wie zu besten M5S/Lega-Zeiten.