© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Pankraz,
Th. Walser und die gerechte Empörung

Empörung, „gerechte Empörung“ in den Medien über die Komödie „Die Empörten“ von Theresia Walser bei den Salzburger Festspielen. „Ungenierter Rechtsextremismus“, so heißt es, sei da geboten und am Ende sogar mit Beifall belohnt worden, von einigen „nur allzu verständlichen“ Buhrufen abgesehen. Internationale Gäste bekamen ungeniert deutschen Rechtsextremismus vorgesetzt. Die Sache sei glücklicherweise kläglich gescheitert, es lohne sich nicht, auch nur ein einziges wörtliches Zitat aus dem Realtext wiederzugeben. 

Stattdessen wimmelt es von Anspielungen. Die Autorin, Theresia Walser, mische zwar geschickt „Cocktails aus Makabrem und Groteskem“ (Zeit online), doch die Wortregie des Regisseurs in Salzburg, Burkhard Kosminski aus Stuttgart, „scheitert komplett; aus den wenigen Angeboten der Autorin für Späße und Slapstick macht er nichts (…), nicht mal aus Silke Bodenbender als aggressiv-rechter Heimatschützerin: sie ist lieb und hübsch und fehlbesetzt; kein Vergleich mit unseren realen, höhnisch versauerten Blondies von der Rechten!“  (gemeint ist wohl Alice Weidel).

Doch nicht nur Theresia Walser, respektive Burkhard Kosminski, werden ins Visier der Empörten genommen, sondern beispielsweise auch der künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, der große Dirigent Christian Thielemann. Man raunt von einem regelrechten Krieg gegen Thielemann, der jetzt aus gegebenem Anlaß „hinter den Kulissen“ gegen ihn organisiert werde. Der Mann sei „zu konservativ“, er sollte durch Hinweise auf aktuelle Ereignisse endlich zum „freiwilligen“ Rückzug aus Salzburg gebracht werden. Das sei nötig, um die allgemeine Empörung abzukühlen.


Jürgen Kesting hat in der FAZ immerhin scharfen Widerspruch gegen solche Intrigenspiele angemeldet. „Es ist“, schreibt er zornig, „ein singulärer Vorgang in einer zum Weltwarenhaus erniedrigten ‘Hochkultur’, daß es unter dem Protektorat einer Politbanditengesellschaft einem zum künstlerischen Leiter ernannten Dirigenten verwehrt – gar verboten – wird, seine Programmvorstellungen zu verwirklichen.“ Nun, „Politbanditengesellschaft“ ist tatsächlich das richtige Wort zur Kennzeichnung der beteiligten Kräfte, doch die Rede vom „singulären Vorgang“ führt in die Irre. 

Vorgänge wie die um Theresia Walsers Festspiel-Komödie sind eben in der Bundesrepublik Deutschland (und leider auch in Österreich) nicht mehr singulär, sondern gehören zum politischen und kulturellen Alltag; schon der Titel des Stücks, „Die Empörten“, weist ja darauf hin. Faktisch kein Ereignis  – und seien seine Anlässe und Verläufe auch noch so kurios und ausgesprochen lächerlich –, kommt mehr ohne Empörung aus. Und immer ist es angeblich eine „gerechte“ Empörung. Man gewinnt den Eindruck,  als ob der Empörte seine Empörung ausdrücklich rechtfertigen möchte – und genau darum geht es in der Tat.

Das Wort „Empörung“ ist, so weit Pankraz sieht, eine Spezialität der deutschen Sprache; im Englischen oder Französischen gibt es die nicht. Die Engländer und Franzosen sind entweder „indigniert“, oder sie „outrieren“ sich. Indigniert sind sie, wenn sie eine Tat oder eine Äußerung einfach nicht fassen können, wenn sie aufs schwerste verärgert oder schockiert sind, ihren Ärger oder ihren Schock aber gleichsam verinnerlichen, Gentlemen bleiben wollen, sich davor hüten, gemeinste Worte zu äußern oder gar in wilden Gesten vor sich hin zu zappeln.

Indigniert sein ist für sich ein peinlicher, letztlich ungehöriger Zustand. Man gerät dabei außer Kontrolle, „läßt sich gehen“, wird „zum Tier“. Wichtige Konferenzen, öffentliche Auftritte oder wissenschaftliche Debatten können vernünftigerweise nie im Zustand des Außersichseins absolviert werden, man kann es nur künstlich initiieren, kann es „spielen“, indem man planvoll zu brüllen anfängt, auf dem Podium herumzappelt. Das ist dann die „gerechte Empörung“. Sie ist ein Kunstprodukt, extra erschaffen für die Medien, für Zeitungsschlagzeilen und für Fernsehbilder am Abend.


Manche Politiker leugnen freilich entschieden die Künstlichkeit der von ihnen so oft  gespielten politischen Empörung und sagen, diese Empörung sei ein gewissermaßen natürliches „Massenphänomen“ und gehöre zu jeder Art von Politik. Sie berufen sich dabei in der Regel auf den französischen Psychologen Gustave Le Bon (1841–1931), der dergleichen sehr folgenreich gelehrt hat. Empörung, dozierte er, sei letztlich zerstörerisch und selbstzerstörerisch und tobe sich bevorzugt auf weiten öffentlichen Plätzen aus, wo man scheinbar auf nichts Privates mehr Rücksicht zu nehmen brauche.

Man setzt, so weiter Le Bon, nur allzu leicht schlechte Instinkte frei, die sich entladen wollen. Nicht das Wort, sondern die nötigende Aktion ist die heimliche Sehnsucht der empörten Masse. Es soll „etwas passieren“. Jedem politisch Denkenden ist selbstverständlich klar: Gänzlich vermeiden lassen sich massenhafte Straßendemos nicht. In harten Diktaturen sind sie fast die einzige Möglichkeit, eine abweichende Meinung öffentlich zu artikulieren und Zugeständnisse zu erzwingen. Dennoch: Wer an ihnen teilhat, reitet immer den Tiger und bringt Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr.

Doch statt dies sorgfältig zu benennen, wälzt sich der gegenwärtig in Deutschland herrschende politisch-mediale Komplex geradezu in der Anfachung immer neuer „gerechter Empörungen“. Alle müssen sich heute empören, um überhaupt noch öffentlich wahrgenommen zu werden. Sehr drollig zeigt Theresia Walser in ihrer Salzburger Komödie, wie ausgerechnet die blonde Silke Bodenbender, die als Oppositionelle den eigentlich empörten Sound draufhaben müßte, von allen Beteiligten am wenigsten empört ist, sogar  lachen und albern kann. 

Fast klingt sie wie Winston Churchill, der einst gesagt hat: „Empörte Massendemonstrationen auf großen Plätzen sind für die Demokratie wie Hautausschlag. Sie machen häßlich, sie jucken, aber man kratzt sich stets an den falschen Stellen.“