© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Jongleur zwischen Peking und Moskau
Vor 50 Jahren starb Ho Chi Minh, kommunistischer Führer der vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung
Jürgen W. Schmidt

Ho Chi Minh liebte die Geheimhaltung, besonders bezüglich des eigenen Lebens. Viele Details seiner Biographie sind selbst heute unklar. Als Geburtsdatum gilt der 19. Mai 1890. An diesem Tag soll er  als „Nguyen Sinh Cung“ im Dorf Kiem Lien in Zentralvietnam als Sohn eines Dorflehrers geboren sein. Doch der Beruf des Vaters stimmte nur bedingt, denn dieser war nach Absolvierung verschiedener Prüfungen in den klassischen Literaturwissenschaften im Rang eines Mandarin auch als Beamter am Hof des vietnamesischen Kaisers in Hue und später als Kreisverwaltungschef tätig. 

Also mußte diese nichtproletarische Herkunft geschönt werden, ebenso wie Ho Chi Minh eisern verschwieg, daß ausgerechnet er 1926 eine Chinesin heiratete, welche er indessen schon nach kurzer Zeit verließ. Schließlich waren die Chinesen als Ethnie in Vietnam keineswegs beliebt, und knapp zehn Jahre nach Ho Chi Minhs Tod kam es sogar zu einer kurzen, doch ungemein heftigen bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Sozialistischen Republik Vietnam und der Volksrepublik China, die Vietnam mit einem Patt beenden konnte.

Er wurde zur Ikone linker Studenten im Westen

Um etwas von der Welt zu sehen, brach der junge Ho Chi Minh 1911 nach Europa auf, wo er unter anderem in England und Frankreich als Tellerwäscher und Pastetenbäcker arbeitete und in erste Berührung mit Sozialisten kam. Mit dem Marxismus-Leninismus, besonders in seiner stalinistischen Ausprägung, kam Ho Chi Minh jedoch erst später in der Sowjet-union in Berührung. Hier studierte er kurzzeitig an der Universität der Völker des Ostens und wurde Ende der zwanzigiger und in den dreißiger Jahren häufig als Komintern-Emissär zur Anstachelung des antiimperialistischen Kampfes in Asien, vor allem in China, Singapur, Hongkong und Malaya eingesetzt. 

Auch gehörte Ho Chi Minh zu den Gründungsvätern der späteren KP Vietnams. Es gelang ihm sogar unbeschadet, die Jahre der politischen „Säuberungen“, die viele kommunistische Politiker 1937/38 in der Sowjet-union das Leben kosteten, zu überleben. Die Bedeutung dieser Lehrzeit im praktischen Stalinismus sollte für das politische Stehaufmännchen Ho Chi Minh keinesfalls unterschätzt werden. Politisch stets wendig, arbeitete er seit Beginn der vierziger Jahre in Vietnam im illegalen Kampf gegen die japanischen Besatzungstruppen unter dem Decknamen „Lucius“ sogar mit dem militärischen US-Geheimdienst OSS zusammen. 

Nach dem Sieg über Japan 1945 rief Ho Chi Minh in Hanoi die unabhängige Republik des demokratischen Vietnam aus und besiegte anschließend die einstige Kolonialmacht Frankreich in einem jahrelangen Partisanenkrieg, welche aus Vietnam nach der japanischen Okkupation wieder eine französische Kolonie machen wollte. 

Als Frankreich knapp ein Jahr nach der verheerenden Niederlage 1954 von Dien Bien Phu gegen die Viet Minh sein koloniales Engagement in Indochina beendete, konzentrierte sich Ho Chi Minh darauf, auch das bürgerlich regierte Südvietnam mit Nordvietnam zu vereinigen. In einem äußerst blutigen und beiderseits brutal geführten Krieg wurde immer wieder Südvietnam von Partisaneneinheiten aus dem Norden infiltriert und zunehmend destabilisiert. Da half weder die massive militärische Hilfe der USA für Südvietnam noch die flächendeckende Bombardierung Nordvietnams durch die US-Luftwaffe. 

Während in Westeuropa ab 1968 begeisterte linke Studenten „Ho-Ho-Ho Chi Minh“ skandierend durch die Straßen zogen, absolvierte der listige vietnamesische Staatsführer erfolgreich den Spagat, sich ideologisch und materiell eng an die sozialistische Vormacht Sowjetunion anzulehnen, ohne die unmittelbar benachbarte sow-jetfeindliche Großmacht China allzu brutal vor den Kopf zu stoßen. Als Ho Chi Minh in Hanoi am 2. September 1969 an einem Herzanfall verstarb, war der spätere Sieg Nordvietnams im nationalen Befreiungskampf inklusive der Wiedervereinigung Vietnams fast schon abzusehen. 

Nach seinem Tod wurde der gefeierte Nationalheld Vietnams gleich Lenin in einem wuchtigen Mausoleum in einem gläsernen Sarg, einbalsamiert und von rosa Licht angestrahlt, bestattet. Ebenso erhielt die Hauptstadt des einstigen Gegners Südvietnam 1976 ihm zu Ehren ihren offiziellen neuen Namen „Ho Chi Minh-Stadt“.