© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Lauter negative Konnotationen
Die zeitkritischen Essays des Kulturwissenschaftlers Hartmut Heuermann über den geistigen Gesamtmüll der Moderne
Werner Olles

Von dem Dramatiker Hanns Johst, der nach 1933 zu einem der prominentesten nationalsozialistischen Staatskünstler avancierte, ist der Ausspruch überliefert, wenn er das Wort „Kultur“ höre, entsichere er seine Browning. So weit geht Hartmut Heuermann, Kulturwissenschaftler, Medienkritiker und Essayist nicht, doch wenn er im ersten („Aberglaube und Magie“) seiner elf „zeitkritischen Essays“ den Spuren „regressiver Tendenzen in der Kultur“ folgt, ist der Gedanke nicht weit, die aus der „animalischen Urhorde (entstandene) humane Stammesgesellschaft im affektiven Sinn einer „mystischen Teilhabe“ zwischen Traum und Realität, Wünschen und Ängsten, Ideellem und Materiellem, in letzter Konsequenz metaphysisch zu verstehen. Tatsächlich war für den Menschen des Hochmittelalters, gleich ob Christ, Jude oder Moslem, die Existenz von transzendenten Mächten, mit denen er ganz selbstverständlich kommunizierte, völlig normal. 

Das ungenierte Kokettieren mit dem Alptraumhaften

Der Autor bezeichnet dies als „magisches Weltbild“, das in der „Morgendämmerung der Kultur“ im Geisterglauben des „Pandämonismus“ oder „Animismus“ seinen Ausdruck fand. Die Prager „Laterna Magica“, Perry Comos Hit „Magic Moments“, das popkulturelle Fantasy-Genre – die moderne Kulturindustrie kokettiert ungeniert mit der furchteinflößenden Welt des Dämonischen und Alptraumhaften. Ob jedoch gerade die Psychoanalyse die Zusammenhänge zwischen Aberglauben und Zwangsneurosen zu erklären imstande ist, wie der Autor behauptet, darf tunlichst bezweifelt werden. Da ist eher die Religion gefragt, denn laut Oswald Spengler sei sie doch „das Wesen aller Kultur“, während „folglich Irreligion das Wesen aller Zivilisation“ sei. Schmerzlich für alle Seiten ist jedoch Spenglers pessimistisches Fazit: „Das unausweichliche Schicksal aller Kultur ist Zivilisation.“ 

Die Durchsetzungsgeschichte der kapitalistischen Warengesellschaften des letzten Jahrhunderts endete in der Bundesrepublik in den frühen 1950er Jahren in der Rekonstruktionsperiode der Wirtschaftswunderzeit, gleichzeitig zog sich eine Kulturkritik, die diesen Namen verdient, zusehends ins Mikrokosmische zurück. Heuermann zeigt exemplarisch auf, daß heute „die teuerste Ware auf dem Weltmarkt nicht Gold und Diamant, sondern Kultur ist“ (Obi Egbuna). 

Die Zerrissenheit zwischen blindem Fortschrittsglauben und Dekadenzbewußstsein kennzeichnet zwar die meisten kulturpessimistischen Endzeitdiskurse, bei denen es immer um alles oder nichts geht, aber vorherrschend bleiben die negativen Konnotationen. Da wir aufklärerischer als die Aufklärung sein wollten in dem Wunsch, Tabula rasa zu machen, im Ikonoklasmus, im Bruch mit allen Traditionen, bleibt nur der völlige Neuanfang, ohne auf etwas Überliefertem aufbauen zu können. In dieser gründlichen Abwendung vom geistigen Gesamtmüll der Moderne liegt Heuermanns Verdienst.

Hartmut Heuermann: Kultur –Kulturgeschichte – Kulturkritik. Zeitkritische Essays. Basilisken Presse, Marburg an der Lahn 2018, broschiert, 184 Seiten, 24 Euro