© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Zwischen Himmel und Hölle
Landtagswahl Sachsen: AfD verdreifacht Ergebnis / Kenia-Koalition wahrscheinlich
Björn Harms

Manchmal liegen zwischen Himmel und Hölle nur ein paar Treppenstufen. Während die Gäste der Linkspartei im vierten Stockwerk des Sächsischen Landtags entsetzt auf die Leinwand starrten, als am Sonntag abend die ersten Hochrechnungen zur Landtagswahl über die Bildschirme liefen, brandete bei der AfD-Wahlveranstaltung in der 6. Etage Jubel auf. Die einen hatten die größten Verluste aller Parteien im Vergleich zur Wahl 2014 zu beklagen (minus 8,5 Prozentpunkte), die anderen konnten ihren Stimmenanteil fast verdreifachen (plus 17,8 Prozentpunkte). 

Mit 27,5 Prozent verzeichnete die AfD die zweitmeisten Stimmen aller Parteien. Der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban sprach in Anwesenheit von Parteichef Jörg Meuthen von einem „historischen Tag“. Die AfD habe „die CDU-Hochburg Sachsen gehörig ins Wanken gebracht“. Auch Generalsekretär Jan Zwerg, der in der Sächsischen Schweiz sein Direktmandat gewann, nannte das Ergebnis gegenüber der JUNGEN FREIHEIT „sensationell“. Seine Partei hätte gute Chancen gehabt, die 30 Prozent zu erreichen, „wenn der Wähler nicht verunsichert gewesen wäre durch die Listengeschichte“, war er sich sicher. 

Durch die Zusammenstreichung der Landesliste (JF 30-31/19) wird die AfD einen Sitz im Parlament nicht besetzen können. Deshalb will die Partei bereits in der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags den Antrag auf einen Untersuchungsausschuß einreichen. In Sachsen reichen dafür die Stimmen von einem Fünftel der Parlamentarier, ein Quorum, das die AfD mit ihren 38 Abgeordneten erreicht. Auch die gerichtlichen Auseinandersetzungen werden weiterlaufen. Ihr Hauptwahlziel, stärkste Kraft in Sachsen zu werden, verpaßte die AfD allerdings. 

Die CDU wurde zwar deutlich abgestraft und fiel auf 32,1 Prozent (minus 7,3 Prozentpunkte), behauptete jedoch ihre Spitzenposition. Die Grünen kamen auf 8,6 Prozent. Dahinter stürzt die SPD auf 7,7 Prozent ab. SPD-Vorsitzender Martin Dulig kommentierte das schlechteste SPD-Ergebnis bei einer Landtagswahl in der deutschen Geschichte noch am Wahlabend reichlich skurril: „Wir haben das schlechteste Wahlergebnis. Wir sind aber der coolste Landesverband!“ 

Eine Kenia-Koalition – das einzig denkbare Regierungsbündnis – hätte somit eine Mehrheit, sie erreicht 69 Sitze im Parlament. Bereits in den nächsten Wochen soll es zu ersten Sondierungsgesprächen zwischen der CDU, der SPD und den Grünen kommen. Es werden schwierige Diskussionen erwartet. Trotz des historisch schlechten Wahlergebnisses stellt die SPD bereits erste Forderungen auf, auch die Grünen melden forsch Ansprüche an. In der sächsischen CDU-Basis, wo die Grünen nicht gerade beliebt sind, dürfte der Unmut weiter steigen.

Maaßen rät von Koalition mit den Grünen ab 

Bei informellen Gesprächen werde nun geprüft, „ob das eine Basis ist für weitere Dinge und weitere Zusammenarbeit“, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach der Landesvorstandssitzung am Montag abend. Kretschmer war es zusätzlich gelungen, sein Direktmandat im Wahlkreis Görlitz II zu gewinnen und entschied das prestigeträchtige Duell gegen AfD-Politiker Sebastian Wippel für sich. Die FDP hingegen verpaßte zum zweiten Mal in Folge den Einzug in den Landtag des Freistaates. Sie kam auf 4,5 Prozent, 2014 hatte die frühere Regierungspartei 3,8 Prozent bekommen. Die Partei zog erste Konsequenzen, Parteichef Volker Zastrow und der komplette Landesvorstand gaben am Montag ihren Rücktritt bekannt. 

Nur wenige Meter entfernt vom Landtag veranstaltete auch die CDU-Werteunion eine eigene Wahlparty. Mit an Bord: der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der in den vergangenen Wochen mit seinen Auftritten in Sachsen für Furore gesorgt hatte. Eine drohende schwarz-grün-rote Koalition wäre für ihn ein Ärgernis. „Ich halte das für fatal“, warnte Maaßen gegenüber der JF. „Die Werteunion hat sich immer gegen eine Koalition mit der esoterischen Umweltpartei, den Grünen, ausgesprochen, weil die programmatische Übereinstimmung ganz gering ist.“ 

Die Partei sei gefährlich für die Migrations-, Sicherheits- und Industriepolitik. Er plädiere für eine Minderheitsregierung, durch die sich konservative und christdemokratische Werte deutlich besser durchsetzen ließen. „Wenn das Ministerpräsident Kretschmer nicht möchte, wäre die CDU gut beraten, es mit einem anderen Ministerpräsidenten zu versuchen.“ Für ihn stehe fest: „Die herben Verluste sollten den einzelnen Abgeordneten zu denken geben.“

Interessante Erkenntnisse zum Wahlergebnis lieferte auch eine Nachbefragung der Forschungsgruppe Wahlen, in der die Altersstruktur der Wähler ermittelt wurde: Mit 22 Prozent der Stimmen bei den unter 30jährigen war keine andere Partei erfolgreicher bei jungen Wählern als die AfD. Dahinter folgen die Grünen (19 Prozent), auf Platz drei landet die CDU (17 Prozent). Auch bei Wählern zwischen 30 und 44 Jahren liegt die AfD mit 31 Prozent der Stimmen vor der restlichen Parteien-Konkurrenz. Die CDU kommt in dieser Altersgruppe auf 26 Prozent, die Grünen auf 11 Prozent. 

In der Gruppe der über 60jährigen ergibt sich ein ganz anderes Bild: Hier ist die CDU gewohnt stark und erhielt 43 Prozent der Stimmen – die AfD nur 23 Prozent. Der Mythos, nur „verbitterte, alte Männer“ würden die AfD wählen, wäre damit einmal mehr widerlegt.