© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Schwarz-Grün kommt – mit oder ohne Neuwahl
Große Koalition: Die Zukunft des Bündnisses von CDU und SPD ist nach den schlechten Ergebnissen bei den Landtagswahlen ungewiß
Paul Rosen

Bis zu den jüngsten Wahlen gab es immerhin noch Rücktritte. Angela Merkel kündigte nach der hessischen Landtagswahl 2018 (CDU:  minus 11,3 Prozentpunkte) ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz an, ihre SPD-Kollegin Andrea Nahles ging nach der Europawahl 2019 (SPD: minus 11,5 Prozentpunkte). Jetzt wurden die einstigen Volksparteien in Sachsen (CDU: minus 7,7 Prozentpunkte) und Brandenburg (SPD: minus 5,3 Prozentpunkte) wieder geschreddert. Und was sagen Politiker? Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stellt fest: „An diesem Abend hat die SPD gezeigt, daß sie Wahlen gewinnen kann.“ Scholz, der SPD-Chef werden will, meinte nicht Sachsen, sondern Brandenburg, wo Ministerpräsident Woidke trotz starker Verluste (minus 5,7 Prozentpunkte) wohl im Amt bleiben kann. Und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak empfindet Freude und Erleichterung – darüber, daß in Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer trotz 7,3 Prozentpunkten Verlust vermutlich weiterregieren wird. 

Diese Runde der selbsternannten Wahlsieger denkt natürlich nicht daran, irgendwelche Konsequenzen in Berlin zu ziehen. Die Devise lautet: Die AfD ignorieren und genug Truppen für  Regierungsmehrheiten zusammenzubekommen. Noch frei von den üblichen Floskeln und Worthülsen machte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu früher Morgenstunde im Fernsehen deutlich, daß man die wachsende Schar von AfD-Wählern auszugrenzen gedenkt. Auf die Frage, ob man ein Viertel der Wähler außen vor lassen könne, sagte sie wörtlich: „Ja, wir können.“ 

Die große Schrumpfkoalition soll weiter halten: „Anders als es viele vor den Wahlen im Osten vorausgesagt haben, wird die GroKo nicht in Chaostage stürzen“, sagt etwa der kommissarische SPD-Leiter Thorsten Schäfer-Gümbel voraus. Und von Scholz ist bekannt, daß er sich als Vizekanzler pudelwohl fühlt und das Amt genießt. 

Die GroKo hat bereits einen informellen Partner

Doch was, wenn nicht Scholz SPD-Chef wird, sondern zum Beispiel der Kölner Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der mit der ebenso linken Nina Scheer ein Kandidaten-Duo bildet? Darauf spekuliert zum Beispiel Friedrich Merz (CDU), der sich immer noch für den besseren CDU-Vorsitzenden als AKK hält – beziehungsweise für den besseren Bundeskanzler als Angela Merkel. Die Wahrscheinlichkeit sei immer noch groß, „daß die Koalition den Jahreswechsel nicht mehr erleben wird“, glaubt Merz. Eine Aussage von Lauterbach scheint dies zu bestätigen: „Die GroKo schadet mittlerweile allen außer der AfD.“ Das stimmt so nicht. Die Parteien der Großen Koalition werden zwar verzwergt. Aber neben der AfD erwachsen die Grünen zu neuer Stärke, sind möglicherweise der wahre Gewinner der beiden Ost-Landtagswahlen und können ihren Einfluß auf Bundesebene erhöhen, falls sie in Potsdam und Dresden in die Landesregierungen kommen sollten. 

Denn die Große Koalition hat heute schon einen informellen Partner: die Grünen. Faktisch alle Gesetzgebungsvorhaben werden vor der Abstimmung im Bundestag mit den Grünen abgestimmt. CDU und SPD nehmen Forderungen der Grünen auf, damit die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung im Bundesrat zustimmen. Dieser Zwang zum Kompromiß läßt die CDU/CSU immer grüner ausschauen und hat die SPD die letzten Reste ihres Profils gekostet. Im Bundesrat braucht jedes Gesetz eine absolute Mehrheit. Enthaltungen zählen wie Neinstimmen. Da Koalitionsverträge in den Ländern Enthaltungen im Bundesrat bei Uneinigkeit der Koalitionspartner vorsehen, bringen die Grünen heute eine knappe Verhinderungsmehrheit von 37 der 69 Stimmen auf. Mit einer grünen Regierungsbeteiligung in Sachsen würde diese Verhinderungsmehrheit auf 41 Stimmen anwachsen, mit Brandenburg auf 45 Stimmen. Dann braucht die Große Koalition nicht mehr zu versuchen, ein Bundesland mit grüner Regierungsbeteiligung aus der Ablehnungsfront herauszukaufen. Die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung wären weitgehend erschöpft – und dies vor dem Hintergrund einer möglicherweise heraufziehenden Wirtschafts- und Finanzkrise. 

In der Politik gibt es einen alten Grundsatz: Wenn die Probleme nicht gelöst werden, suchen sich die Probleme Lösungen. Der erodierenden SPD fehlt die Kraft, einer Regierung die Mehrheit zu beschaffen. Auch der Union gelingt das allein nicht mehr, was den Akteueren auch längst klar geworden ist. Sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bekommt immer grünere Anwandlungen, und der Vorstoß von Landesgruppenchef Alexander Dobrindt für eine Steuer für Billigfluggesellschaften war nichts anderes als ein Köder für die Grünen. Schwarz-Grün wird kommen, ob mit Neuwahlen oder ohne – und ob mit SPD oder ohne, ist längst belanglos geworden. 

Die derzeit diskutierten Abgaben- und Steuererhöhungsorgien wie die neue Grundsteuer, die Vermögensteuer, Luftverkehrssteuern, SUV-Steuern, Digital- und Finanztransaktionssteuern lassen sich nur mit den Grünen bewerkstelligen. Deren Nanny-Charakter führt zu einer Politik, die den Leuten erst das Geld abknöpft, um es ihnen nachher zum Beispiel als Grundrente wieder zuzuteilen. 

Es gab in der Bundesrepublik eine Partei, die sich gegen die Ausplünderung der Bürger stellte: die FDP. Sie ist zwischen Anti-AfD-Block und AfD zerrieben worden. In einer Zeit höchster Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland ist der Untergang der FDP das eigentliche Drama dieser Landtagswahlen.