© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

In Generationen denken
Forstwirtschaft: Die Wälder leiden unter Trockenheit und sind dadurch besonders anfällig für Schädlinge / Bundeswehr rückt zur Hilfe aus / „Nationale Katastrophe“
Christian Vollradt

Zwei sehr trockene Jahr haben dem deutschen Wald schwer zugesetzt. Und weil Bäume zwar leiden, aber nicht klagen können, müssen andere die Hilferufe für sie aussenden. Vergangene Woche wandten sich der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), Hans-Georg von der Marwitz, und der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrats (DFWR), Georg Schirmbeck, an die Öffentlichkeit, um über die düstere Lage unter den Wipfeln aufmerksam zu machen. 

Etwa 110.000 der insgesamt 11,4 Millionen Hektar Wald seien vertrocknet, berichtete Schirmbeck den Hauptstadtjournalisten in der Bundespressekonferenz. Allein in diesem sowie dem vergangenen Jahr sollen 70 Millionen Festmeter Schadholz angefallen sein; Holz, das sich zwar noch verwenden läßt, aber aufgrund seiner schieren Menge den Markt überschwemmt und die Preise kaputtmacht. Wofür der Forstwirt früher noch 90 oder 100 Euro pro Festmeter bekam, sei heute „fast unverkäuflich“, so Schirmbeck. Er hebt hervor, daß die wichtigste Aufgabe in der möglichst schnellen Beseitigung der durch die Trockenheit geschwächten und vom Borkenkäfer befallenen Bäume aus den Wäldern liegt. Sonst drohe eine zweite Welle des Befalls durch die darin abgelegte Käferbrut. 

Allein das Schadholz zu beseitigen werde etwa zwei Milliarden Euro kosten, ergänzt AGDW-Chef von der Marwitz. Hinzu kämen rund 660 Millionen Euro für die Aufforstung. „Dieses Ausmaß hat keiner von uns vorhersehen können“, ist sich der Bauer und Waldeigentümer aus dem Oderbruch sicher. Betroffen seien bedauerlicherweise vor allem alte Baumbestände, und zwar alle Sorten, nicht, wie manche vorschnell behaupten, nur Fichten, sondern zum Beispiel auch Buchen. „Es gibt daher keine schnellen Antworten“, die Herausforderung könne nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung gemeistert werden, mit einem „Pakt für den Wald, über alle Parteigrenzen hinweg“, forderte von der Marwitz, der für die CDU im Bundestag sitzt. Und er betont, was die schnellebige Politik heutzutage leicht vergißt: „Der Wald denkt in Generationen. Was wir heute ernten dürfen, haben meine Urgroßeltern gepflanzt.“

Panzergrenadiere mit Kettensägen

Wenn die Politik auch noch nicht über die gewünschten Milliardenhilfen entschieden hat, so erhalten einige Betroffene bereits erste Hilfe bei dem, was sie als am dringlichsten zu bewältigen erachten: der Beseitigung des Schadholzes. Einige Bundesländer haben die Bundeswehr um Unterstützung gebeten, und so ziehen die Leute in Oliv ins Feld gegen den Feind im Grünen, den Borkenkäfer. In Sachsen zum Beispiel helfen bereits rund 50 Soldaten des Landeskommandos. Rechtlich abgesichert ist das durch Artikel 35 des Grundgesetzes, laut dem sich „alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe“ leisten. Das ist auch kein militärischer Einsatz im Innern, denn die Soldaten – Panzergrenadiere und mehrere Kettensägentrupps – beschränken sich auf die technische Unterstützung der Forstarbeiter und auch Transporttätigkeiten. Die Kosten dafür trägt der Freistaat. Andere Länder, etwa Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, wollen dem Beispiel folgen. 

Richtig, findet der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und forstpolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Peter Felser: „In dieser schwierigen Situation muß die Bundeswehr ran“, forderte er während seiner Besuche in nordostdeutschen Landesforstbetrieben. Nur die Truppe habe genügend Personal, die logistischen Kapazitäten und Großgerät wie etwa Bergepanzer. „Der Wald hat neben seiner wirtschaftlichen Funktion auch für unser Gemeinwesen eine große Bedeutung“, ist Felser überzeugt. Sein Bundestagskollege Jan Korte dagegen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, sieht im Borkenkäfer eher einen sechsbeinigen Verbündeten für den Klassenkampf: „Daß die Bevölkerung den ehemaligen Adelsfamilien jetzt die Wälder, die ihre Vorfahren ihren Untertanen abgepreßt haben, mit Steuergeldern retten soll, ist der blanke Hohn!“, wetterte der Linken-Politiker in der Neuen Osnabrücker Zeitung. 

Unterdessen hat ein pensionierter Forstbeamter aus Niedersachsen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig Anzeige wegen Untreue gegen die Verwaltung des Nationalparks Harz gestellt. Der Vorwurf: großflächige Waldzerstörung. Durch Untätigkeit trage die Nationalpark-Verwaltung Mitschuld am Schrumpfen der Fichtenbestände. Die Lage im deutschen Wald, so sieht es der Forstoberamtsrat a. D., bewege sich angesichts des massiven Waldsterbens durch Borkenkäferbefall in Richtung einer „nationalen Katastrophe“.